Heute bin ich in Frankfurt und schlendere mit einer wunderschönen Erscheinung durch den chinesischen Garten Frankfurts. Obwohl ich einige Jahre in Frankfurt gelebt habe, besuche ich diesen zum ersten Mal. An einem koreanischen Restaurant sind wir auch vorbei gekommen, mir läuft bereits das Wasser im Mund zusammen, aber zuerst wird sich um das Wichtige gekümmert … und zwar um eine weitere Geschichte und zusätzliche Stimme einer interessanten Frau! Wir finden ein gemütliches Plätzchen und schon geht’s los …

 

 

Wer bist du, woher kommst du und was machst du?

Ich bin Ogechi und wohne in Frankfurt. Meine Mutter ist Deutsche und mein Vater ist Nigerianer. Ich bin Studentin und studiere Lehramt in Englisch und Geschichte.

Hast du Geschwister?

Ja, wir sind insgesamt zu viert,  ich bin die Jüngste von allen.

 

Mama Martina & Papa Godfrey / Ogechi / Papa mit Ogechi‘s ältestem Bruder Andy

 

Wie und warum kam dein Vater denn nach Deutschland?

Das ist eine lange Geschichte! Mir wurde sie folgendermaßen erzählt: Mein Vater ist damals nach England mit einem Visum emigriert, um dort ein besseres Leben zu beginnen. Er wurde dort am Flughafen abgefangen, weil sich dort herausgestellt hatte, dass sein Visum gefälscht war. Mein Vater erzählte mir, dass er dieses Visum in einer sogenannten Agentur (die Visa ausstellen) durch einen Bekannten bekommen hat. Es war aber kein gültiges Visum und dann wurde gesagt, dass er es sich aussuchen solle, ob er zurück nach Nigeria reisen möchte oder ob er in einem anderen Land Asyl beantragen möchte. So kam er dann schließlich nach Deutschland!

Welche Kultur wurde dir zu Hause vorgelebt?

Ich muss eigentlich sagen, dass ich ziemlich nigerianisch aufgewachsen bin … Wenn man das so bezeichnen kann. Klar, wenn ich mich jetzt so selbst betrachte, würde ich sagen, dass ich auch schon sehr viele deutsche Züge habe, aber die Leitkultur bei uns zu Hause war nigerianisch bzw. Igbo lastig.

Und wie hat sich das bemerkbar gemacht?

Das fing schon an bei den Aufgaben, die man zu Hause so hatte. Ich muss auch dazu sagen, ich bin ohne meine Geschwister aufgewachsen, zwischen meinem ältesten Bruder und mir liegen 10 Jahre Altersunterschied und er wuchs in Nigeria auf. Ich als Mädchen hatte Aufgaben wie putzen, kochen, aufräumen, einkaufen, im Haus mithelfen. Das war an der Tagesordnung! Ich konnte nicht einfach spielen gehen, ich musste erst kochen und dann konnte ich raus gehen. Was für mich selbstverständlich damals lästig war, weil jedes Kind möchte natürlich Kind sein und hat keine Lust irgendwelche Aufgaben zu erledigen, aber das war eben der Standard in meinem zu Hause. Ich wusste, welche Aufgaben ich zu erledigen hatte und nachdem ich das getan hatte, konnte ich tun, was ich wollte. Das ist einer der Aspekte, wo ich sagen kann, dass unsere Leitkultur definitiv nigerianisch war. Bei uns zu Hause war es immer laut, wenn es leise war, dann waren meine Eltern nicht da oder jeder schlief. Wir hatten oft Besuch, bei uns lief immer Musik und all solche Dinge. Der Umgang mit meinem Vater an sich war einfach nicht deutsch, ich kann es irgendwie auch nicht beschreiben, aber das war etwas ganz Eigenes, wenn ich das mit anderen Kindern verglich.

Welche Sprache wurde bei euch gesprochen?

Das war eine Mischung! Mit meiner Mutter wurde Deutsch gesprochen und mit meinem Vater vorwiegend eine Mischung aus Englisch und Igbo, manchmal auch Deutsch. Das Problem ist, ich verstehe Igbo oder verstand es damals sehr gut, aber ich konnte die Sprache nicht sprechen. Ich konnte nicht darauf antworten und deswegen gab es, um die Kommunikation zu vereinfachen, auch damals diesen Mix.

Sind dir die Unterschiede der verschiedenen Herkünfte deiner Eltern aufgefallen in jungen Jahren?

Auf jeden Fall! Bei meinen Eltern fiel mir das extrem auf. Meine Mutter hat sich viel gefallen lassen und hat nie die Unterschiede auf die Goldwaage gelegt. Die Unterschiede in der Kultur waren da, aber sie hat einfach mitgemacht. An sich ist meine Mutter eine sehr deutsche Frau und man merkt, dass sie eine Frankfurterin ist. Mein Vater war ganz klar nigerianisch. Er hat sich zwar angepasst, aber er hat sich seine Kultur nicht nehmen lassen. Ich habe mich teilweise auch echt gewundert, wie die beiden überhaupt klargekommen sind auf so lange Zeit, weil da waren oftmals einfach zwei total verschiedene Mentalitäten die aufeinandergeprallt sind. Ich dachte mir in vielen Momenten, dass sie sich deshalb gegenseitig gar nicht verstehen, aber irgendwie hat es doch funktioniert. Das fand ich sehr faszinierend, weil ich das bei anderen Familien anders erlebt habe. Da haben diese kulturellen Unterschiede einfach dafür gesorgt, dass das Ganze nach hinten losging und deshalb gab es viele Probleme.

 

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Hast du dich als Kind anders gefühlt?

Definitiv! Sagen wir mal so, ab der Grundschule habe ich gemerkt, dass ich anders bin, bzw. wurde es mir ab dann bewusst klar gemacht. Es fing schon an mit meinem Schulbrot, das einfach anders aussah, weil mein Vater mir meistens mein Schulbrot gemacht hatte. Man merkte, dass allein dieses Brot schon nicht der „Norm“ entsprach und darauf wurde man dann auch hingewiesen. Wenn man jung ist, ist das Verständnis ja auch anders geeicht und dadurch wurde mir bewusst, dass ich anders bin und die Kultur, die bei mir zu Hause gelebt wurde eine andere war.

Gibt es da noch weitere Situationen oder Beispiele die du nennen kannst, wo es dir ganz klar aufgefallen ist?

Als ich in die 5. Klasse eingeschult wurde, war ich total glücklich. Allein darüber, nun in die 5. Klasse zu kommen und neue Freunde zu finden usw. Ich wurde dort aber überhaupt nicht anerkannt und sofort abgewiesen. Man wurde auch mit Beleidigungen überhäuft und hat gemerkt, dass das eigene Dasein für die anderen Kinder komisch war. Ich war vom Charakter her auch noch ein Kind, das darauf sehr impulsiv reagiert hat und diese Kombination trat sehr auf Unverständnis. Da merkte ich, dass mein kultureller Hintergrund, in dem Kontext ich dem ich mich befinde, nicht anerkannt ist. Man muss dazu auch noch bemerken, ich war auf einem Gymnasium, auf dem größtenteils deutsche Kinder waren. Ich war in meiner Klasse die einzige Farbige und in meinem Jahrgang eine von Dreien. Da wurde einem einfach bewusst, dass die Menschen das nicht kennen oder auch gar nicht kennenlernen wollten. Mir wurde zu dieser Zeit ganz klar, dass ich anders bin und ich mich deshalb behaupten muss.

Das hat dich zu dieser Zeit schon sehr stark beschäftigt?

Das würde ich schon sagen. Ich habe das nicht Mal richtig auf meine Hautfarbe bezogen, sondern eher auf mein Dasein, dass ich teilweise Entscheidungen anders treffe oder mich anders ausdrücke. Das merkt man einfach! Im weiten Verlauf passt man sich ja an, aber das war schon extrem auffällig und das hat mich, um ehrlich zu sein, auch sehr runter gezogen.

Bei dir kam es also zu Problemen aufgrund deines kulturellen Hintergrundes, aber nicht aufgrund deines Aussehens?!

Das ist richtig!

Wurde sich bei euch zu Hause über dieses Thema auseinander gesetzt?

Ja, mein Vater hat z.B. immer alles auf den Rassismus bezogen. Man merkte, dass er Rassismus ganz anders auffasst. Er war sehr empfindlich und bezog jegliche Probleme immer auf seine Herkunft. Da wurde dann ausgeblendet, dass Menschen auch aus anderen Gründen unfreundlich zu einem sein könnten und das nicht etwas mit der Hautfarbe zu tun hat. Ich denke aber, dass das natürlich auch ein Erfahrungswert ist, weil mein Vater einfach auch sehr viel Rassismus erlebt hat. Auch innerhalb der eigenen Familie! Selbst meine Mutter hat manchmal Äußerungen gebracht, wo ich dachte, dass sie das nicht machen kann. Das beziehe ich aber alles auch auf die Erziehung in diesem Land, man weiß manche Dinge einfach nicht besser. Es ist schwer, weil Rassismus ist allgegenwärtig. Und wenn es um Dinge geht, die sich auf die eigene Hautfarbe oder Herkunft beziehen, nimmt man viele Dinge als rassistisch war, selbst wenn sie gar nicht so gemeint waren. So etwas passiert dann auch zu Hause, wenn man Eltern verschiedener Herkünfte hat. Das ist ganz normal, man muss einfach nur damit umgehen können.

Gibt es heutzutage noch Situationen in denen du mit Beleidigungen konfrontiert wirst?

In der Schule ist das natürlich noch etwas Anderes. Da steht man auf dem Schulhof und hört zwischendurch mal Nigger, oder Sonstiges. Unter anderem kann ich dazu noch sagen, dass z.B. unsere damalige Nachbarin offenkundig rassistisch war. Im Parterre wohnte auch noch ein Mann, der sehr rassistisch war und Sachen durch den Hausflur schrie wie: „Niggers raus!“, „Wir wollen keine Niggers bei uns im Haus!“ und all solche Dinge. Ich bin damit also aufgewachsen. Ich habe dann die Musik einfach lauter gedreht, musste mir das dann nicht mehr anhören und dachte mir: „Lass sie reden!“ Das waren so die extremsten Situationen, die ich erlebt habe. Ich glaube, vielleicht weil ich eine Frau bin und auch weiß, wie ich mich anzupassen habe, habe ich im normalen Kontext eigentlich weniger Rassismus bzw. weniger „negativen Rassismus“ erlebt. In meinem späteren Leben war das eher “positiver Rassismus”. Das ist auch so ein Ding, da kriege ich einen richtigen Hals.

Was genau meinst du damit, was geschah da genau?

Es fängt schon an mit der Figur … Ich bin jetzt nicht superschlank, ich bin rund gebaut. Ich muss mir ständig deshalb irgendetwas anhören, von wegen, ja bei euch Afrikanerin ist dieses und jenes ja so und so. Bei euch Afrikanern alleine schon! Ich bin ja erstens nicht mal eine komplette Afrikanerin, ich habe einen afrikanischen Teil in mir und einen deutschen. Das darf man auch nicht ne­g­li­gie­ren, sonst würde ich nicht so aussehen, wie ich eben aussehe. Und ja, wir sind alle Musiker und können alle tanzen und deshalb sollen wir bitte in die Mitte der Tanzfläche gehen und uns zum Affen machen. Da fühlt man sich wie ein Tier im Zoo, dass eine Show abliefern muss, weil dieses Schwarzsein kommentiert ist mit irgendwelchen Eigenschaften, die eigentlich größtenteils nicht zutreffen. Das ist etwas, was mir später bewusst geworden ist. Dass dieses Problem da ist und das die Menschen aufgrund dessen immer ein bestimmtes Bild von mir haben. Ich komme irgendwo hin und bin ganz neu in der Gruppe, da kommen dann immer Standardfragen, bei denen ich mir immer denke, dass ich solche Fragen niemals jemandem stellen würde, weil mich das erstens gar nicht interessiert und sich zweitens auch nicht gehört. Solche Sachen wie: „Oh wow, du sprichst aber gutes Deutsch! Wie lange bist du denn schon hier?”, „Deine Mutter ist Deutsch? Echt? Ich hab mich schon gewundert, Westafrikaner sind doch eigentlich viel dunkler!“ Da denke ich mir doch manchmal, gerade in der Schule haben wir doch alle gelernt wie Bevölkerungsgruppen aussehen können. Außerdem sollte man auch wissen, dass man solche Fragen einfach nicht fragen sollte, weil sie nervig und irrelevant sind. So etwas kann man fragen, wenn man sich vielleicht enger kennenlernt, aber solche Frage als allererstes zu stellen, das gibt einem das Gefühl, dass man nur darauf reduziert wird und alles andere nicht wirklich eine Rolle spielt. Vielleicht sehe ich das etwas subjektiv, aber es ist mir aufgefallen, dass in meinem Leben eher dieses Verhaltenen im Vordergrund steht, anstatt nacktem, blanken, negativen Rassismus.

Hast du das Gefühl, dass du dadurch auch Bevorzugungen erlebt hast in deinem Leben?

Teilweise … Ja, schon, aber eigentlich eher in dem Kontext der Männerwahl bzw. Frauenwahl. Ich bekomme oft Sachen gesagt wie: „Wow, ich stehe auf schwarze Frauen! Du bist genau die Mitte zwischen Westen und Afrika!“ Das kann man eigentlich gar nicht als Vorteil bezeichnen. Wenn ich das höre, dann ist mir klar, es geht hier gerade nur um Äußerlichkeiten, es geht um Statussymbole oder um das was gerade so en vouge ist. Nur deshalb bin also gerade auf Platz 1, aber morgen kann es ja schon wieder anders sein. Das ist der negative Vorteil, wenn man das so bezeichnen kann. Ich hatte aber immer Glück, weil meine Herkunft mir nie wirklich im Weg stand bei meiner Jobwahl. Dort hatte ich nie Probleme. Es geht immer um normale Alltagssituationen. Man wirkt interessanter, jeder möchte wissen, wer man ist, jeder will einen Teil von dir haben, obwohl man eigentlich ein “stink normaler” Mensch ist. Man fällt aber auf, Gott sei Dank nicht negativ, aber gerade deshalb will auch jeder dabei sein. Das kann einem natürlich Türen öffnen, aber auf der anderen Seite geht es mir auch an die Substanz.

 

 

 

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Kommen wir doch mal zu dem Thema Freunde, mit welchen Menschen hast du dich umgeben und versammelst du heute noch um dich?

Als ich noch auf dem Gymnasium war, waren die Menschen, mit denen ich vorwiegend umgeben habe, Menschen mit deutschem Hintergrund. Nach und nach wurde das dann immer bunter. In meinem Freundeskreis gibt es vorwiegend Menschen mit Migrationshintergrund. Die habe ich mir aber nicht ausgewählt, das hat sich einfach so ergeben.

Die Herkunft anderer Mensche spielte für dich also zu keinem Zeitpunkt deines Lebens eine Rolle?

Nein, ich finde es sogar noch interessanter, wenn ich jemanden kennenlerne, der einen neuen Kulturkreis dazu bringt den ich noch gar nicht kenne. Wenn man in Frankfurt aufwächst, dann ist es auch einfach multikulti. Ich finde das toll und das bereichert einen selbst ja auch. Das ist genauso, wie wenn man nur
ausländische Freunde hat und dann ein Deutscher dazu kommt. Das kann einen alles nur bereichern, weil das ja nun mal die Leitkultur in diesem Land ist. Für viele Leute ist ja selbst diese Kultur etwas Fremdes, obwohl sie hier aufgewachsen sind. Für mich hat das also nur Positives!

Am Anfang erwähntest du, dass du trotz deiner nigerianischen Erziehung sehr deutsch bist, was bedeutet denn Deutschsein für dich?

Deutschsein … Ich habe mir schon oft Gedanken darüber gemacht, was es bedeutet. Wenn ich jetzt von heute auf morgen auswandern würde, dann würde ich eine andere Leitkultur erleben. Typisch deutsch für mich ist, dass die Menschen in diesem Land nicht offen sind. Sie sind interessiert, oberflächlich wird alles geduldet, aber hinter verschlossenen Türen wird gequatscht, oder schlecht geredet oder vielleicht doch gut geredet. Aber im Alltag ist man oft sehr zurückhaltend und spricht nicht aus, was man denkt. Das ist ein Ding, was ich allgemein, abgesehen von Herkünften usw., nicht leiden kann. Ich brauche Fakten und Wahrheiten, das fehlt mir hier etwas. Das typisch deutsche, dass ich in mir habe, habe ich tatsächlich in Nigeria entdeckt. Manchmal brauche ich diese Ruhe um mich zurückzuziehen. Das wird dort überhaupt nicht verstanden, dass man auch Mal die Tür zu macht und das andere dann nicht einfach herein zu platzen haben. Oder, dass es keine Beleidigung ist, wenn man den Wunsch äußert, alleine sein zu wollen. Als ich vor 3 Jahren in Nigeria war, als mein Vater gestorben ist, war ich das erste Mal seit 20 Jahren wieder dort. Natürlich wollte jeder dort dann ein Teil von dir sein, weil man sich lange nicht gesehen hatte. Man wurde sehr viel gefragt und wollte gar nicht viel reden, weil man trauerte. Ich wollte einfach nur da sein und auch Mal meine Ruhe haben und das wurde einfach nicht verstanden. Da ist mir aufgefallen, dass das wohl doch schon etwas Deutsches ist. Hier zieht man sich zurück, wenn man Probleme hat, sagt nicht die Wahrheit oder bittet um Hilfe, weil das einfach nicht normal ist. In Nigeria werden offenkundig die Karten auf den Tisch gelegt und es wird darüber gesprochen und man versucht zu helfen, wenn man kann. Dann finde ich auch noch typisch deutsch, dass ich Struktur brauche und wenn ich das nicht habe, dann komme ich gar nicht so richtig zurecht. Und das, obwohl ich eigentlich gar kein strukturierter und ordentlicher Mensch bin. Um ehrlich zu sein, ich glaube ich bin ein Hybrid, ich kann gar nicht sagen, dass ein bestimmter Punkt nur deutsch oder nur nigerianisch ist. Das ist einfach alles vermischt.

Als was würdest du dich denn beschreiben?

Als Hybrid?!

– ein lautes Lachen erklang –

oder als Erdenmensch, als Bürger mit Einflüssen verschiedener Kulturen, mit zwei Hauptkulturen. Je älter ich werde, desto mehr merke ich, dass ich auch noch viele andere Kulturen vereine. Ich kann mir aber keine konkrete Bezeichnung geben, für was ich bin.

Dann frage ich mal so, wenn du ins Ausland gehst und dich jemand fragt, woher du kommst, wie antwortest du darauf?

Dann sage ich, dass mein Vater Nigerianer ist und meine Mutter Deutsche.

Du sagst also nicht, dass du Deutsche bist?

Nein!

Aus welchem Grund?

Weil das nur der Platz ist, wo ich lebe. Ich lebe nur in Deutschland, ich bin hier geboren, ich identifi­ziere mich auch damit, aber das ist ja nur eine Lokalität. Wenn ich morgen nach Spanien auswandere, dann sage ich das Gleiche. Das ist ja das, was ich bin.

Fühlst du dich diesem Land zugehörig?

Das tue ich, da ich auch ein Teil dieses Systems hier bin, bezogen auf Schulbildung, Arbeit und Steuern zahlen. Vom Herzen her fühle ich mich hier heimisch, aber mir fehlt etwas. Ich kann nicht sagen, was es ist, aber ich habe definitiv den Drang etwas Anderes zu sehen. Aber an sich fühle ich mich hier schon heimisch.

Wie wirst du in Nigeria wahrgenommen bzw. aufgenommen?

Also, ich wurde in Nigeria so herzlich aufgenommen, dass ich das erst mal verarbeiten musste. Das berührt mich immer noch, wenn ich darüber nachdenke. Ich kam dort an und wurde so empfangen, als wäre ich nur kurz weg gewesen, obwohl ich manche Familienmitglieder noch gar nicht kannte. Das war alles sehr herzlich, natürlich auch mit Vorurteilen behaftet, aber ich habe gemerkt, dass ich die Menschen dort überrascht habe, weil angenommen wurde, dass ich “sehr deutsch” bin. Ich kann gut switchen, wenn ich da bin, dann bin ich automatisch mehr Igbo. Ich habe gemerkt, dass das für alle sehr verblüffend war und mir auch gesagt wurde, dass ich eine richtige Nigerianerin bin und sie sehr stolz auf mich seien, dass ich das nicht verloren hätte.

Dein Vater ist ja leider ver­storben. Hast du dadurch das Gefühl, dass dir jetzt von der afrikanischen Kultur
oder deiner afrikanischen Identität etwas fehlt?

Ganz pragmatisch gesehen fehlt die Sprache. Niemand spricht mehr ausgiebig mit mir Igbo und das ist für mich natürlich auch mit Kultur verbunden. Das Kulturelle ist nach wie vor anwesend, da ich auch hier Familie habe, die aus Nigeria kommt oder Familienfreunde, die ebenfalls nigerianisch sind. Was mir eher fehlt, ist meine Vaterfigur. Wenn man als Igbo Mädchen aufwächst, ist der Vater das Oberhaupt und ich bin sowieso ein Papakind und das ist eher das, was mir fehlt. Das Kulturelle ist da, weil ich so aufgewachsen bin und ich glaube es ist auch noch stärker geworden.

Wie das?

Mein Bruder und meine Mutter leben nicht mehr in Deutschland. Ich bin also die Einzige hier jetzt und irgendwie muss ich das ja für mich selbst aufrechterhalten. Wir sind allgemein auch nur eine kleine Community in Deutschland an Igbos, wir sind nicht so extrem hier verbreitet, wie z.B. in Amerika. Man ist hier alleine und das ist für viele etwas Fremdes, etwas ganz Eigenes und deswegen ist das Bewusstsein, dass ich Igbo bin, viel stärker geworden.

Dir ist es also sehr wichtig, die Kultur deines Vaters zu bewahren?

Auf jeden Fall! Wenn ich das ablegen würde, wäre ich nicht mehr die Person die ich wirklich bin. Dann hätte ich mich vergessen, bzw. hätte ich mich dann verraten. Das ist auf jeden Fall ein Teil von mir.

Siehst du dich eher als weiße oder als schwarze Frau?

Ich sehe mich als Mulattin! Ich sehe mich als “mittendrin”. Wenn ich darüber spreche, dann sage ich schwarz, weil es leichter ist, aber eigentlich ist es nicht so. Ich persönlich könnte mich aber niemals als Weiße bezeichnen, weil ich einfach nicht weiß bin. Ich bin nicht hell­häutig, ich bin dunkel­häutiger als Hellhäutige. Ich sehe zwar aus wie meine Mom, aber ich bin etwas ganz Anderes. Es ist schwer zu sagen, aber ich bezeichne mich als Mulattin!

Du hattest eben schon mal angesprochen, dass Menschen auf bestimmte Weisen auf deinen Körper reagieren, wie hat dich das beschäftigt?

Ich bin auf jeden Fall nicht klein, ich bin groß, ich bin stark! Als Frau ist das ja sowieso so ein Ding, wenn man groß und stark ist. Ich muss mir immer irgendetwas anhören, z.B. dass ich einen runden Hintern hab, dass meine Beine rund sind … Mir ist aufgefallen, dass das bei anderen Frauen nicht so ist, dass die Menschen nicht einfach solche Dinge sagen, als wäre es normal und kein Problem. Das finde ich schlimm! Komplimente und Kritik hin oder her, aber es gibt Sachen an einer Frau, auf die man nicht einfach im Dasein anderer Menschen hinweist und dann noch auf so eine Art. Ich finde, dass es bei Frauen mit “europäischer” Figur nicht so thematisiert wird und das ist schon irgendwie eine gewisse Übersexualisierung auf den “afrikanischen” Körperbau. Das ist einfach ätzend! Man ist ja mehr als sein Körper!

Bist du denn froh, dass du diesen Körper hast und nicht dem „europäischen Norm“ entsprichst?

Wenn ich jetzt noch abspecken würde, auf jeden Fall! Mein eigenes Schönheitsideal ist stark und rundlicher. Es kann sein, dass ich das von mir selbst reflektiere, aber ich fand es als Kind schon immer schöner. Dass ich so gebaut bin, was meine Proportionen angeht, passt, finde ich, auch zu meiner Persönlichkeit, ich finde es gut so.

Fühlst du dich selbst besonders?

Ich fühle mich besonders, nicht in dem Sinne, dass ich etwas Besseres bin, sondern die Betonung liegt auf “sonders”. Ich bin irgendetwas anderes als andere.

Und das, weil du das selbst so siehst oder weil andere dir das Gefühl gegeben haben?

Weil ich mich seit klein auf so fühle … Ob es jetzt negativ oder positiv behaftet war, ist dahin gestellt, aber ich habe mich immer anders gefühlt. Ich habe immer gedacht irgendetwas ist anders an mir oder irgendetwas anderes ist da. Mittlerweile bekomme ich auch die Resonanz von anderen Menschen, dass ich das so ausstrahle. Es kann sein, dass es in diesem Kreislauf so entstanden ist oder das es tatsächlich so ist. Ich weiß es nicht … Auf der anderen Seite denke ich, dass ich ein ganz normaler Mensch bin, so wie alle anderen auch.

Belastet dich dieses Anderssein?

Mittlerweile schon, ja! Aber in dem Kontext, dass ich damit immer konfrontiert und darauf angesprochen werde. Ob ich jetzt ein guter oder ein schlechter Mensch bin, interessiert irgendwie niemanden, es geht nur darum, was man bei mir wahrnimmt. Es tut mir weh, dass die Leute mich nur danach beurteilen und dann ihre eigenen Schlüsse ziehen und gar nicht wissen, wer ich bin und warum ich so bin. Das wird alles pauschalisiert und wird in den Vordergrund gerückt.

Du sprichst jetzt von der Herkunft?

Vom Aussehen und der Herkunft! Momentan betrifft es besonders das Aussehen.

 

 

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Was fällt dir zu dem Thema Haare ein? Man sieht, dass du eine Kopf­bedeckung trägst, hat das einen bestimmten Grund?

Das hat gesundheitliche Gründe! Früher habe ich meine Haare offen getragen. Ich habe relativ weich und leicht zu bändigende Haare gehabt. Ich hatte das Glück, dass ich immer wusste wie ich damit umzugehen hatte. Mein Vater hat auch oft meine Haare nach seinem Belieben gemacht.

– ein nostalgisches Schmunzeln erschien auf ihrem Gesicht –

Ich hatte immer Afros, weil mein Vater das – aus welchem Grund auch immer – liebte. Meine Mutter war immer total gestresst mit meinen Haaren. Man muss sich vorstellen: Um 7 Uhr ging ich in den Kindergarten und um 5 Uhr musste ich aufstehen, damit man genug Zeit hatte, um meine Haare zu kämmen.

Wie haben andere Menschen auf deine Haare reagiert?

„Darf ich mal anfassen?“, das gab es, aber nicht so extrem. Oder, dass der Wunsch geäußert wurde, dass man die selben Haare haben möchte wie ich usw. Das Typische einfach …

Trägst du deine Kopfbedeckung schon immer so, wie wir sie gerade sehen?

Nein, erst seit einigen Jahren, immer mal wieder anders. Es wird von der Außenwelt so aufgefasst, dass es aufgrund meiner Religion ist und wird mit einem spirituellen Hintergrund verbunden, aber das ist nicht der Fall. Ich wurde sogar in Nigeria darauf angesprochen, warum ich es auf diese Weise mache, weil es bei uns zu Festen und speziellen Anlässen anders gebunden wird. Leute die sich auskennen wissen, dass es nichts Religiöses oder Kulturelles ist, sondern eher “Style” bedingt.

Wie sieht es mit deinem Männergeschmack aus? Was bzw. wer zieht dich da an?

Ich weiß auf jeden Fall, dass ich bevorzugt helle, südliche, Typen schön finde. Diese Art von Mann finde ich sehr attraktiv. Aber ich bin sehr offen. Es gibt bestimmte Züge, die ein Mann haben sollte, aber da spielt die Hautfarbe keine Rolle. Dunkelhäutige Männer gefallen mir auch, aber waren bisher nie großartig vertreten in meiner Männerwahl.

Du bevorzugst es also schon eher, wenn jemand dir nicht so ähnlich ist? Vergleichbar mit deinen Freunden…

Ja, weil es mich einfach bereichert! Das komplementiert die Verbindung …

Dann hätte ich noch ein paar Begriffsfragen an dich: Was macht das Wort Mischling mit dir, was verbindest du damit?

Mit diesem Wort bin ich aufgewachsen, so wurde man einfach bezeichnet. Das war für mich auch in Ordnung, bis ich irgendwann im Biounterricht gecheckt habe, dass die Bezeichnung Mischling eigentlich für Tiere benutzt wird. Seitdem versuche ich darauf zu achten. Ich versuche die Begrifflichkeit Mulatte zu benutzen, aber um­schreibe es meistens, anstelle mich als Mensch in eine biologische Kategorie zu schmeißen. Menschen machen nach ihrem Phänotyp zu beschreiben ist schon grenzwertig. Aber im Endeffekt ist es gesell­schaftlich geläufig und man verfällt da schon gelegentlich in dieses Muster.

Du verbindest also schon etwas Negatives mit diesem Begriff?

Mittlerweile schon … Seit meinem Studium auch noch mehr, da ich ja auch Geschichte studiere. Ich habe mich letztes Semester etwas mit dem Rassismus und Kolonialismus beschäftigt und da kamen diese Begrifflichkeiten auf. Da habe ich erst mal angefangen mich zu fragen, was wir da eigentlich sagen oder wissen wir überhaupt, woher das kommt? Das ist eigentlich gar nicht schön!

Und was ist mit dem Wort Neger?

Das geht gar nicht!

Warum?

Das ist einfach ein negatives Wort, nicht im Gebrauch, aber aufgrund der Herkunft. Und egal in welchem Kontext, dieses Wort hat immer etwas Degradierendes. Ich habe es auch schon verwendet und dann wahrscheinlich eher im ironischen Kontext, aber ich versuche die Leute auch darauf aufmerksam zu machen, es nicht zu verwenden. Klar, wenn ich Songs höre in denen Nigga gesagt wird, dann sage ich das auch, aber im normalen Gespräch, nein. Ich bezeichne Menschen nicht so und ich möchte auch nicht so bezeichnet werden. Dazu muss ich auch sagen, dass mein Exfreund meinen Vater als Neger bezeichnet hat, als ob es ganz normal wäre. Ob ich will oder nicht, ich kann das nicht kontrollieren, aber ich bekomme dann Hassgefühle! Ich weiß nicht, woher es kommt, aber ich möchte das nicht hören, es ist eine Beleidigung! Ich hatte in jungen Jahren schon körperliche Auseinandersetzungen mit anderen Kindern aufgrund dieses Wortes. Das ist heute nicht mehr so, aber ich habe sehr impulsiv darauf reagiert. Ich arbeite neben dem Studium im pädagogischen Bereich. Ich habe im Jugendhaus gearbeitet und da gab es öfter solche Situationen, wo ich auch eben kleine Jungs Mal zur Seite nehmen musste. Ich weiß, welche Musik sie hören und das es da normal ist, dass dieses Wort verwendet wird und dass es deshalb mittlerweile schon irgendwie “okay” ist, dieses Wort zu verwenden. Und erst recht als Hellhäutiger, weil man damit auch versucht ein Teil dieser Subkultur zu sein. Aber keiner versteht, dass sich damit eine komplette Kultur einfach degradiert und kaputtmacht oder, dass es da eine ganze Subkultur gibt, die unterdrückt wird bzw. da einfach sehr viele Unterdrückungsmechanismen stattfinden. Wenn ich das höre bei Jugend­lichen, dann ist es für mich offensichtlich, welches Problem die Welt hat. Das ist mehr als nur eine Hautfarbenbezeichnung im negativen Sinne, das ist für mich Unterdrückung! Jeder weiß mittlerweile, wie dieses Wort entstanden ist. Wenn man Menschen so bezeichnet, dann hält man nicht viel von ihnen, denn was ist ein „Nigger“? Ein Nigger ist ein Sklave! Das ist ein Mensch, der keine Rechte hat, niemals seine Zeile erreichen kann und darf, weil ihr niemals die Möglichkeit dazubekommen wird.

Eine Frage hätte ich noch: Empfindest du deine Herkunft als Segen oder als Bürde?

Voll und ganz als Segen! Das Leben ist ein Up & Down, wie man es so sagt. Man wird mal Schlechtes, mal Gutes erleben, aber alles, was man mitbekommt, sollte ein Segen sein. Weil das sozusagen den Weg leitet und wenn man das Beste daraus macht, dann wird dir auch nur Gutes widerfahren! Ich könnte niemals sagen, dass es ein Fluch ist, niemals! Auch die schlechten Dinge, die ich erlebt habt, haben mich nur stärker gemacht und machten mich zu dem Mensch, der ich jetzt bin. Ich kann nur sagen, dass es für mich persönlich das Beste ist, was ich mitbekommen habe. Das ist ja schließlich das, was ich bin und ich mag mich. Von daher ist es ein Segen!

 

 

In Loving Memory Of

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Vielen Dank für deine ehrlichen Worte Ogechi!

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