Ich durfte letztes Jahr eine junge Dame treffen, deren Lächeln mich durch mein Handy angeleuchtet hat. Durch dieses kleine Gerät kam eine Wärme bei mir an, die sich im wahren Leben, von Angesicht zu Angesicht, bewahrheitete und sogar noch viel wärmer wurde. Welch starke Frau ich in Berlin (in ihrem schönen zu Hause antraf), dürft ihr jetzt erfahren.

 

 

Wer bist du, woher kommst du, was machst du?

Ich bin Miriam bin 27 Jahre alt (heute 28) und komme aus Berlin. Ich studiere in Potsdam Europäische Medienwissenschaft und arbeite nebenbei bei H&M. Meine Mama ist Deutsche und mein Papa kommt aus Kamerun. Ich habe mit meiner Mutter und meinem Vater zusammengelebt, bis ich, glaube ich, 4 Jahre alt war, dann ist mein Vater zurück nach Frankreich gegangen. Mein Vater ist etwas jünger als meine Mutter und irgendwie hat es einfach nicht funktioniert. Er sagt auch selbst, dass er zu dem damaligen Zeitpunkt nicht bereit war, ein Kind zu haben. Wiedergesehen habe ich ihn erst , als ich 16 Jahre alt war.

 

 

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Europäische Medienwissenschaft – wie kamst du zu diesem Studiengang?

Ich schreibe unglaublich gerne, aber ich habe ein extremes Sicherheitsbedürfnis. Deshalb konnte ich mir nicht vorstellen, direkt nach dem Abitur Schriftstellerin zu werden oder als freie Autorin zu arbeiten. Bei meinem Studiengang geht es sehr viel um europäische Kulturgeschichte, gleichzeitig bezieht er sich aber auch auf die neuen Medien. Man erstellt dort Magazine, kann fotografieren, mit Sound experimentieren, oder auch Filme schneiden. Ich wusste, dass ich dadurch mehrere Wege nach dem Studium gehen kann z.B. könnte man Kuratorin im Museum werden (was ich definitiv nicht werde) oder für eine Zeitung/ein Magazin arbeiten usw. Das ist von allem etwas und es hat das Gefühl von Sicherheit für mich befriedigt. (Ich bin jetzt im 9. Semester und mache Ende des Jahres meinen Bachelor)

Das Studium ist so ein Thema … Meine Mutter ist im letzten Jahr verstorben und war davor sehr krank. Ich hätte das Studium gerne früher beendet, damit sie das noch miterleben kann. Meine Mama war immer stolz auf mich, aber ich möchte ihr damit trotzdem auf irgendeine Weise auch etwas zurückgeben, da sie mein ganzes Leben so viel für mich getan und gegeben hat. Meine Mutter und alles, was diese unglaublich starke Frau mir mitgegeben hat, sind mein größter Ansporn. Wenn ich mein Studium abgeschlossen habe, würde ich idealerweise gerne meine Liebe zum Schreiben, mit meiner Begeisterung für Mode und den Umgang mit der eigenen Identität verbinden.

 

Kommen wir noch mal zurück zu deinem Vater, du sagtest er ist zurück nach Frankreich gegangen, wo hast du ihn wiedergetroffen?

In Frankreich! Wir hatten jahrelang keinen Kontakt bzw. kam ab und zu mal ein Brief in dem dann stand, dass er mal vorbei kommt – das ist aber nie passiert. Mir hatte er bis dahin aber ehrlich gesagt gar nicht gefehlt, weil ich so viel Geborgenheit von meiner Mama bekommen habe und mich nie wirklich mit meiner “anderen Seite” auseinandergesetzt habe.

Als ich dann in die Pubertät kam, wurde die Frage aber stärker, warum man nicht so aussieht, wie der Rest und dass man wissen wollte, woher man denn eigentlich kommt. Meine Mutter hat dann den Kontakt zu meinem Vater gesucht. Anschließend bin ich mit einer Freundin nach Frankreich geflogen und habe meinen Vater, sozusagen, kennengelernt. Man kann auch sagen, dass ich da in die afrikanische Kultur hineingeworfen wurde. Ich kam dort also an als “Deutsche” und wusste gar nicht richtig, was da auf mich zukommt. So viel Körperkontakt, so viel Nähe, die Lautstärke … ja, das war erstmal ein Kulturschock. Auf der einen Seite war es total toll, weil ich direkt das Gefühl hatte, dass es zu mir gehört, auf der anderen war es aber auch total befremdlich oder auch überwältigend. Ich brauchte erstmal ein paar Tage, bis ich dort wirklich angekommen war.

 

Du hast dich nicht mit deiner “anderen Seite” beschäftigt, wie meinst du das?

In meiner Kindheit gab es immer wieder Kleinigkeiten, an denen mir auffiel, dass ich mich irgendwie von dem Rest unterscheide, aber das war eher unterschwellig. Richtig kam das Interesse zu der Herkunft meines Vaters, meiner anderen Hälfte, als ich ihn wiedergetroffen habe. Dann habe ich angefangen Fragen darüber zu stellen, wo er denn genau herkommt, welche Sprache er spricht, wie sich diese Sprache nennt, ob wir einem Stamm angehören, ob ich einen weiteren Namen habe … Das sind vielleicht alles blöde Fragen, aber das muss man ja erst mal alles lernen. Ich war damals zu jung, um das irgendwie alles richtig wahrzunehmen, denn das größere Thema war erst mal: Warum warst du eigentlich nicht da? Je öfter wir uns getroffen haben desto interessanter wurde es. Und wirklich intensiv habe ich mich mit dem Thema meiner Herkunft dann mit Anfang zwanzig auseinandergesetzt.

 

 

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Nachdem du deinen Vater getroffen hast, was ist da passiert mit dir?

Im ersten Moment war es sehr komisch. Ich muss dazu sagen, ich bin ein sehr misstrauischer Mensch. Die Situation war ja nun mal, dass ich diesem, mir erstmal fremd wirkenden Mann begegne, der meine Nähe sucht, mich kennenlernen will und mich lieb haben möchte. Das war anfangs unglaublich seltsam. Ich hatte diese Vater Gefühle nicht von Anfang an, denn obwohl er mein Vater ist, habe ich ihn ja 12 Jahre nicht gesehen. Das Ganze hat mir auch Angst gemacht, weil ich unbedingt eine Beziehung zu ihm wollte. Ich hatte irgendwie erwartet, dass ich dort ankomme und dass ich direkt spüre, dass er mein Papa ist und ich mich so fühle, wie bei meiner Mama, aber das war nicht so. Ich musste ihn einfach erstmal kennenlernen. Das wurde über die Jahre immer besser und näher, aber es ist trotzdem immer noch, manchmal, sehr schwierig, weil er sehr afrikanisch lebt. Das war für mich immer ein Konflikt, denn ich hätte liebend gerne etwas von seiner bzw. unserer Kultur mitbekommen, das hat er mir aber nicht gegeben. Das ist sein Fehler und nicht meiner, doch trotzdem musste ich mir oft Vorwürfe anhören, dass ich nicht so gut Französisch spreche (mein Vater kommt aus dem Teil in Kamerun, wo Französisch gesprochen wird, denn in dem anderen Part spricht man Englisch). Mein Vater hat eine Kamerunerin aus England geheiratet und mit ihr habe ich mich oft nicht gut verstanden, weil ihre Lebensweise auch sehr afrikanisch war und da viele Dinge eben anders sind, auch welche Position man als Kind in der Familie hat. Ich kannte das einfach nicht! Ich war mit meiner Mutter immer alleine, war irgendwie gleichberechtigt und wir waren immer gemeinsam gegen den Rest der Welt und dann kam auf einmal eine afrikanische Frau, die von mir erwartete, dass ich sie Mama nenne und wollte, dass ich ihr die Einkaufstaschen hinterher trage. Da gab es ganz oft Konflikte und auch Streitereien mit meinem Vater.

Er war eine sehr lange Zeit keine zuverlässige Vaterfigur, aber je älter wir beide geworden sind, desto mehr sind wir zusammengewachsen und wissen unsere Unterschiede jetzt besser zu schätzen und wissen, wie wir den anderen jeweils zu nehmen haben. Das war ja für ihn genauso schwer! Er hat zwar den Fehler gemacht, sich nicht zu kümmern, aber das Leben ist auch nicht immer leicht und ich habe es ihm verziehen. Er verzeiht sich das Ganze oft selbst nicht so richtig, denn er wünscht sich auch, dass ich vieles schon früher mitbekommen hätte.

Ich bin dankbar, dass mein Vater, je älter er wird, ein immer größerer Teil in meinem Leben sein möchte. Das ist ein schönes Gefühl, denn in den ersten Jahren, als wir uns frisch kennenlernten, war meine Angst immer sehr groß, etwas falsch zu machen und ihn dadurch zu verlieren. Das ist, glaube ich, sehr schlecht für eine Eltern-Kindbeziehung. Er hat aber gemerkt, dass man ein Kind durch Kontaktentzug nicht erziehen kann und mir wurde so der Druck genommen immer alles richtig zu machen zu müssen. Glücklicherweise ist es mittlerweile durch WhatsApp etc. ja auch einfacher Kontakt zu halten und mein Vater ist sehr stolz mich zu haben, so stolz, dass er fast alles reposted, was ich auf Facebook poste, ob er es versteht oder nicht.

 

Bist du Deutsche?

Ich bin Deutsche! Ich fühle mich als Deutsche, weil ich nichts anderes kenne. Ich war leider im Vergleich zu anderen, die ich kenne, die 2 Kulturen angehören, noch nie in meinem Vaterland und das ist für mich etwas schwierig. Das trage ich, wie eine Last mit mir herum, weil ich es unbedingt möchte. Deswegen würde ich mich als Deutsche bezeichnen. Trotzdem bin ich auch Kamerunerin, finde es aber gleichzeitig schwierig, weil ich ja wie gesagt noch nie dort war. Ich bin Deutsche und Schwarze! So sage ich es eigentlich immer, denn ich sehe mich definitiv als Schwarze Frau.

 

Was bedeutet denn Deutschsein für dich?

Lass mich kurz darüber nachdenken …
Das bedeutet für mich viel Positives aber auch viel Negatives, wovon ich beides in mir trage. Skeptisch sein ist für mich sehr deutsch oder auch Misstrauen. Sicherheit verbinde ich auch mit Deutschsein, denn das System bietet einem viel davon. Deutsche Tugenden, wie Pünktlichkeit oder Ordentlichkeit, die entsprechen mir auch, weil ich das total von meiner Mutter habe, die sich auch selbst als Urberliner Pflanze bezeichnet hat. Deutschsein ist für mich aber auch mit vielen Kulturen verbunden, vielleicht, weil ich aus Berlin komme. Berlin ist (das sagt man ja so gerne) “multikulti” und deswegen glaube ich, dass ich da auch ganz viel mitgenommen habe aus anderen Kulturen. Irgendwie kann ich das nicht richtig definieren, vielleicht, weil ich selbst noch dabei bin, es herauszufinden …

 

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Welchen Einfluss hatte dein Erscheinungsbild in deinem Leben bisher?

In meinem Umfeld gab es nie einen sonderlichen großen Ausländeranteil, deswegen sah ich immer anders aus, aber es war mir als Kind nicht bewusst, dass es daran lag, weil ich noch eine andere Kultur in mir habe. Ich war aber nie ein Außenseiter oder hatte Probleme dadurch mit anderen Kindern. Das erste Mal, dass mir bewusst wurde, dass ich mir aufgrund meines Aussehens andere Gedanken machen muss, war in der 5. Klasse, als in der Schule das Thema Rechtsradikalismus, der heutigen Zeit, besprochen wurde. Meine Lehrerin fragte mich, wie ich mich denn dabei fühlen würde und ich verstand nicht, warum sie genau mich fragte. Daraufhin wurde mir erst richtig bewusst, dass ich anscheinend diesem Bild entspreche, dass bestimmte Menschen nicht mögen. Danach bin ich heulend nach Hause gelaufen, weil ich darüber so geschockt war und gleichzeitig ist in mir etwas kaputt gegangen. Nicht, dass ich danach nicht mehr die gleiche Person war, aber der Teil in mir, der naiv war, der ist dadurch kaputt gegangen. Die Realisation, dass mich jemand nicht mag, nur weil ich so aussehe, wie ich aussehe, obwohl ich immer höflich und freundlich bin, hat mich überrollt. Danach musste meine Mutter mich 2-3 Wochen zur Schule bringen, weil meine Angst so groß war, dass mir etwas passieren könnte. Irgendwann habe ich das akzeptiert. Zwischen 16 und 18 Jahren hatte ich dann eine Zeit, in der ich sehr unglücklich war – nicht weil ich Schwarz bin, sondern weil ich nicht so aussah, wie alle anderen. In dieser Phase sucht man ja auch Vorbilder oder möchte sich irgendwie orientieren, aber es half nicht, dass es zu dieser Zeit in Deutschland kaum Vergleichsmöglichkeiten für mich gab. Ich war also ab und an unglücklich, weil ich einfach das Gefühl hatte, optisch nicht reinzupassen. Irgendwann habe ich dann durch eine andere Freundin und meine Arbeit einen großen Kreis an (multikulturellen) Menschen kennengelernt, die mich so akzeptiert haben, wie ich bin und durch diese Leute habe ich gelernt, mit Stolz zu tragen, wer ich bin. Jetzt liebe ich es! Ich kann mir nicht vorstellen jemand anderes zu sein und ich liebe meine Haut so sehr, dass ich manchmal sogar gerne noch dunkler wäre.

 

Warum dunkler?

Ich glaube, das ist diese ewige Diskussion … Wenn man mixed ist, wenn man z.B. deutsch & afrikanisch ist, guckt man irgendwie immer auf die Haut. Für mich ist es so, je mehr man sich mit seiner afrikanischen Seite identifiziert, umso mehr möchte man es ja auch nach außen zeigen. Man möchte dann z.B. nicht gesagt bekommen: „Du siehst spanisch aus!“ Aus diesem Grund dachte ich immer, wenn ich dunkler wäre, würde man richtig sehen, dass ich Afrikanerin bin. Mein Schönheitsideal hat sich natürlich auch geändert. Als Teenie wurde Britney Spears angehimmelt, da wollte man glattes Haar und heute ist es eben anders.

 

Ist das für dich nur ein ästhetischer Faktor, weil du dunkle Haut als schön empfindest oder hat das für dich etwas
mit Zugehörigkeit zu tun? Das frage ich, weil du vorhin mal erwähntest, dass du früher das Gefühl hattest nicht reinzupassen.

Für mich persönlich ist es so offensichtlich, dass ich afrikanisch aussehe, dass ich da noch nie das Gefühl hatte, nicht dazuzugehören. Deswegen ist es für mich eher aus ästhetischen Gründen.

 

Als dein Schönheitsideal noch ein anderes war, hast du da deine Haare glatt getragen?

Ja! Genau aus dem Grund, den ich eben genannt habe: Ich wollte nicht anders sein. Am Anfang habe ich es mit einem Glätteisen gemacht, später (zum Glück nur 2 Mal) mit Relaxer und danach sind mir meine ganzen Haare abgebrochen. Krauses Haar war für mich, zu der Zeit, das Allerschlimmste. Irgendwann habe ich dann eine junge Frau kennengelernt, deren Mutter aus Deutschland und deren Vater aus Ghana kommt. Sie hatte eine tolle Lockenpracht und ich fand es immer wunderschön, da war ich ca. 20 oder 21 Jahre alt. Sie sagte zu mir: „Es ist okay, dass du deine Haare noch glättest, aber eines Tages wird der Augenblick kommen, an dem du es nicht mehr machen willst und den Teil von dir mehr nach außen tragen möchtest!“ Für mich war das unvorstellbar! Mit 24 oder 25 Jahren war es dann wirklich so. Ich hatte keine Lust mehr und wollte es nicht mehr. Ich sehe nun mal so aus und mir die Haare glätten zu müssen, nur weil ich einem Standard entsprechen möchte, der ich nicht bin … Ich hatte das Gefühl dadurch einen Teil von mir zu verleugnen. Jeder Regenschauer war der Horror, weil immer die Gefahr bestand, dass er mir meine, so sorgfältig gezähmten Haare, ruiniert. Heute ist das anders: Lasst es regnen! Meine Haare lieben Wasser, meine Krone wächst und steht fabelhaft wild in alle Richtungen ab. Jede/r soll natürlich das tun, was er möchte! Ich finde es nicht schlimm, wenn andere Frauen Weave tragen (finde es oft sehr schön), oder ihre Haare glätten, aber ich finde es wichtig, dass man irgendwann eine Entscheidung für sich trifft, unabhängig davon, was andere Leute denken oder denken könnten.

 

Hat diese Veränderung in deiner Reise “Frau zu werden” etwas geändert?

Total! Ich bin VIEL selbstbewusster seitdem. Ich weiß nicht … Das ist ja alles so, als würde man einen Teil von sich verstecken und wenn man etwas schön findet, dann trägt man es ganz anders nach außen. Ich finde als Metapher ganz lustig und passend, wenn man sich vorstellt, wie meine Haare aufspringen, wenn ich das Haargummi rausnehme – so hab ich mich gefühlt! Als ich aufgehört habe sie zu glätten, ist meine Persönlichkeit, meine Weiblichkeit erblüht. Ich habe erkannt, dass ich sehr kurvig bin, nicht so zierlich, andere Gesichtszüge als Freundinnen habe, andere Haare habe und akzeptiert, dass das schön ist und es bedeutet, dass ich eine Geschichte in mir habe, die nicht nur zeigt, dass ich aus Deutschland komme, sondern auch Afrika in mir trage. Mein Mantra dazu von Warsan Shire, einer somalisch-britischen Autorin, die ich sehr bewundere: „I belong deeply to myself!“, und ich muss niemandem gefallen, außer mir selbst!

 

 

 

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Danke für deine ehrlichen Worte liebe Miriam!

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