Heute statte ich einer jungen Frau, in ihrem zu Hause, einen Besuch ab, die mir völlig unbekannt ist – Marie. Natürlich habe ich ihre schöne Gestalt schon übers Internet bewundern können, aber bekanntlich ist das ja nicht alles und es gibt noch viel Wichtigeres zu sehen – nämlich das, was sich dahinter verbirgt. Als Marie die Tür öffnet, freuen wir uns erst Mal gemeinsam darüber, dass wir den gleichen Haarschnitt haben und das Eis ist direkt gebrochen. Und wie das Schicksal es so will, werde ich, wie immer, nicht enttäuscht und treffe erneut auf eine tolle, interessante junge Frau mit einer ganz neuen Geschichte/Sichtweise.

 

 

 

Name: Marie
Alter: 23
Beruf: Psychologie Studentin
Herkunft: Deutschland, Berlin / Rwanda, Afrika

 

 

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Du konntest dein Vaterland erst ein Mal besuchen, fehlt es dir dort Zeit verbringen zu können?

Ja, auf jeden Fall, aber ich kenne es nicht anders. Ich habe viele Freundinnen, die immer in den Ferien in ihre „Heimat“ geflogen sind und ich war immer diejenige, die in Deutschland geblieben ist. Da kam dann öfter die Frage: „Warum besucht ihr denn eure Familie in Afrika nicht?“ Darauf antworten zu müssen: „Nein, es geht nicht, weil ich mir das nicht leisten kann!“, ist irgendwie ein komisches Gefühl … aber es ist halt irgendwie normal, man wächst eben so auf.

Mein Vater ist, als er Anfang zwanzig war, aus Rwanda nach Deutschland gekommen (Westberlin). Er hatte ein Stipendium, hat hier studiert und meine Mutter kennengelernt. Ich wurde nicht bilingual erzogen, obwohl ich ihn als kleines Kind immer angefleht habe, dass er mir Französisch beibringen sollte. Er meinte dann: „Okay, das machen wir immer sonntags!“ Das hat aber leider nichts gebracht, denn ich habe auf Französisch gesprochen und er hat mir auf Deutsch geantwortet. Das ist etwas, dass ich ihm immer noch etwas vorwerfe, weil es in jungen Jahren sehr leicht gewesen wäre für mich, gerade, da mein Opa weder englisch und noch deutsch spricht – mit ihm kann ich mich jetzt kaum unterhalten. Das finde ich sehr schade. Ich glaube, deshalb hat er mir damals auch wenig von dieser Schwarzen Identität mitgegeben, weil er selbst erst mal in Deutschland ankommen, Fuß fassen und Sicherheit für mich schaffen wollte. Gleichzeitig hatte er Angst, dass mein Deutsch darunter leidet, wenn ich noch eine zweite Sprache spreche. Das sind aber Dinge, die ich erst in den letzten 2 Jahren begriffen habe.

 

Suchst du für dich einen Weg, das nachzuholen oder zu entdecken, was du bisher nicht mitbekommen hast?

Ich habe jetzt gerade meinen Bachelor gemacht und möchte definitiv noch meinen Master machen. Da ich aber noch nicht weiß in welcher Richtung, habe ich mir überlegt 1 Jahr zu pausieren, um zu reisen. In dem Zusammenhang habe ich entschieden ein halbes Jahr zu meiner Familie nach Rwanda zu fliegen. Ich bin sehr gespannt und habe auch ziemliche Angst, da ich nur einmal zuvor da war.

 

Welche Ängste beschäftigen dich da?

Die Angst nicht richtig anzukommen … Mit dem Leben nicht klarzukommen … Und dort vielleicht nicht richtig akzeptiert zu werden und sich dadurch dort auch nicht richtig zu Hause zu fühlen. Also ich fühle mich hier, bis zu einem gewissen Punkt, zu Hause, merke aber trotzdem: Du bist eben nicht, wie der “klassische Deutsche” und wirst deshalb auch nicht immer so behandelt. Meine Befürchtung ist, dass es dort auch so sein wird und sie mich auch als anders ansehen. Das eine Mal, als ich da war, hat man schon gesehen, dass geguckt wird, aber es war ein anderes Gucken, als dieses, dass ich aus Deutschland kenne. Es war auf jeden Fall positiver. Aber ja, das ist meine größte Angst: Sich nirgendswo richtig angekommen zu fühlen. Eine andere Sache ist, dass ich vielleicht nicht mit den Lebensumständen so klarkomme, wie ich es gerne würde, weil mir mein Erster-Welt-Luxus fehlt. Damit würde ich mich selbst stark enttäuschen, aber ich möchte es auf jeden Fall versuchen und ich werde definitiv nicht nach 2 Wochen zurückkommen. Vielleicht wird es auch so sein, dass ich gar nicht mehr zurück will, aber davor habe ich auch wieder etwas Angst.

Mal sehen …

 

 

 

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Was sagt dein Vater dazu?

Ich war irgendwann mal bei ihm und wir saßen zusammen, bei einem Glas Wein und ich fragte ihn, ob er jemals überlegt hatte, wieder zurückzugehen. Das war immer ein Thema über das wir nie wirklich gesprochen haben. Er meinte: „Ja, aber ich wollte nicht gehen, bis du deine Schule und dein Studium beendet hast!“ Dann fragte ich, was denn wäre, wenn ich gemeinsam mit ihm zurückziehen wolle … Ich habe danach bemerkt, dass mein Vater erst mal tief Luft nehmen musste und er für kurze Zeit sprachlos war. Er sagte dann, dass das die Sache natürlich ändern würde und wir haben uns dann den Rest des Abends darüber unterhalten, wie unser Leben dort aussehen würde oder könnte. Das war für mich eine tolle Vorstellung und ich glaube, dass es ihm viel Kraft gegeben hat, dass ich das in Erwägung gezogen habe. Ich merke, dass er dort sehr viel glücklicher sein würde und das würde mich auch sehr glücklich machen.

 

Um noch Mal zurück zu deinem Studium zu kommen, welche Richtung könntest du dir denn vorstellen bzw. welche Möglichkeiten hat man denn mit diesem Studiengang?

Ich kann mir schon vorstellen Therapeutin zu werden, weiß aber noch nicht genau, in welche Richtung genau es gehen soll. Alle denke immer, dass man, wenn man dieses Studium absolviert hat, alles machen kann, aber das stimmt nicht! Die Möglichkeiten sind schon relativ begrenzt. Was mich daran etwas abschreckt, wirklich Therapeutin zu werden, wäre nach dem Master, noch weitere 3 Jahre eine Ausbildung machen zu müssen. Dann wäre ich schon 29 oder 30 Jahre alt. Ich mache mir da einen ziemlichen Druck, aber ich glaube, das kommt auch etwas von meinem Vater – seine Erwartungen waren schon immer sehr hoch. Das war in der Oberstufe zeitweise schwierig, weil man dauernd gesagt bekommen hat, dass man dreifach so gut sein muss, wie der Rest, weil mein erstens eine Frau ist und zweitens auch noch Schwarz ist. Das so zu hören, kann, glaube ich, auch ins Gegenteil umschlagen, aber bei mir hat es irgendwie funktioniert.

Meine Eltern haben sich getrennt, als ich 16 oder 17 Jahre alt war. Ich bin bei meinem Vater geblieben und er hat sich den Arsch aufgerissen, um uns ein gutes Leben zu bieten. Manchmal habe ich ihn eine Woche lang nicht gesehen, weil er so viel gearbeitet hat. Für ihn war immer das Allerwichtigste, dass ich in Umständen aufwachse, in denen ich mich um mich selbst kümmern und auf meine Karriere/meine Leistung konzentrieren kann und nicht abgelenkt bin. Ich glaube, dass er mich auch so sehr pusht, um durch mich ein bisschen das nachzuholen, was er leider versäumt hat. Das gebe ich ihm aber gerne, weil ich sehe, wie viel ihm das bedeutet. Er hat immer gesagt: „Du kannst machen, was du willst, solange du gute Noten nach Hause bringst!“ Ich war immer so im Mittelfeld in der Schule, zwischen 2-3. Dann haben sich meine Eltern getrennt und ich hatte innerhalb eines Schuljahres den Schnitt 1,4. Das hat sich dann irgendwie hochgeschaukelt und im Endeffekt habe ich mein Abi mit 1,0 gemacht. Nach der Notenvergabe bin ich dann nach Hause zu meinem Vater. Er machte die Tür auf und ich sagte, dass ich den Schnitt von 1,0 habe und er umarmte mich und fing an zu weinen. Wir lagen uns dann Ewigkeiten in den Armen und sind gemeinsam auf den Boden gesunken. Dann hielt er mein Gesicht und sagte: „Ich bin so stolz auf dich! Das kann dir nie wieder jemand wegnehmen!“ Ich glaube, das war der schönste Moment meines Lebens und das bis zum heutigen Tage. Deswegen ist das meine Motivation, immer das Beste zu geben in allem, was ich tue.

 

Bist du Deutsche?

Was die Staatsangehörigkeit angeht, ja! Aber wenn man diese Frage jetzt allgemein zusammenfasst, würde ich eigentlich eher jein sagen. Auf jeden Fall nicht ja!

 

 

 

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Und warum?

Weil ich mich mit Vielem, was die deutsche Kultur und was das Deutschsein ausmacht, nicht identifizieren kann. Das merke ich immer, wenn ich mit dem Familienteil meiner Mutter Zeit verbringe. Es wird sich in einem Zug nur beschwert, gemeckert … Alles ist scheiße, es wird nur über negative Dinge geredet und ich frage mich jedes Mal nur, was ich dort eigentlich tue und was es ihnen ein Treffen dieser Art für einen Mehrwert gibt. A kann ich mich damit nicht identifizieren und/oder auch ihrer Lebensart und B merke ich, klar, das ist meine Familie und meine Familie liebt mich, aber ich bin trotzdem anders als sie. Ich muss sagen, dass mir an Rassismus in Deutschland wenig begegnet ist, aber ich denke auch, dass es daran liegt, dass ich in Berlin groß geworden bin. Aber es sind einfach kleine Dinge, wie die Blicke der Kassiererin oder Bewerbungsgespräche, wo andere dann überrascht sind, dass man so gut deutsch spricht. Oder Situationen, in denen man gerade bevorzugt wird, weil man nicht zu 100% deutsch ist und sich andere damit ein besseres Gewissen machen. Das sind so Situationen, in denen man merkt, dass man eben nicht so ist, wie die “Anderen”, sei es jetzt positiv oder negativ, deshalb würde ich die Frage tendenziell mit nein beantworten. Wenn ich an meine deutschen Freunde denke, selbst wenn sie nicht dem Stereotyp Deutsch entsprechen, ist es einfach so, dass sie das Wissen haben, dass dieses Land IHR Land ist, hier haben sie ihre Wurzeln. Als Beispiel: Wenn z. B. das deutsche Fußballteam spielt, dann freue ich mich nicht für Deutschland, weil ich mich damit nicht identifizieren kann. Irgendetwas in mir wehrt sich, sich für dieses Land zu freuen, weil ich mehr oder weniger nur zufällig hier bin. Mein Vater hätte auch in ein anderes Land gehen können, was er auch vorhatte, er wollte eigentlich nach Amerika oder Japan. Trotzdem: Bin ich Deutsche? Jein! Denn ich bin von einer deutschen, weißen Frau erzogen worden und natürlich hat mich das Land auch geprägt.

 

Mit einer bestimmten Frage wird man immer wieder konfrontiert: Siehst du dich selbst als Schwarze Frau?

Ja, das eher. Auch nicht hundertprozentig, aber ja! Nicht hundertprozentig weil … Ich weiß nicht, wenn ich mir eine Schwarze Frau vorstelle, dann denke ich an eine stolze Schwarze (nicht unbedingt komplett Schwarz) … also ich bin ja beispielsweise relativ hell und ich habe da irgendwie das Gefühl, dass ich den “dunklen” Schwarzen Frauen damit irgendwie etwas wegnehme. Da sind wir auch wieder bei dem Colorism Ding … wenn man bestimmte Erfahrungen gemacht hat, möchte man damit niemanden auf die Füße treten. Ich weiß, dass ich in meiner Identitätsfindung noch nicht weit genug bin, um mich als Schwarze Frau bezeichnen zu können. Ich stehe gerade etwas zwischen den Stühlen und weiß nicht ob es eher nach links oder rechts geht. Dazu bin ich auch erst 23 Jahre alt und bei mir geht es gerade erst richtig los, dass ich mich mit dem Frausein wirklich auseinandersetze und finde jetzt gerade erst diese Liebe und den Stolz für mich selbst, der eine Frau für mich ausmacht. Also ich würde sagen, ich bin auf dem Weg, eine Schwarze Frau zu werden.

 

Was bedeutet das: Du bist dabei eine Schwarze Frau zu werden?

Ich sehe mich als Schwarze Frau, aber noch nicht zu 100 %. Ich entwickle mich in eine bestimmte Richtung, weiß aber nicht, wohin es geht. Der Stolz auf meine eigene Herkunft ist etwas, das bei mir noch wachsen muss. Natürlich bin ich stolz darauf, woher ich komme bzw. zur Hälfte aus Rwanda zu stammen. Trotzdem würde ich nicht wörtlich sagen, das ich stolz bin aus Rwanda zu kommen, weil es ein Land ist, in dem ich einfach nicht viel Zeit verbracht habe. Deswegen sage ich auch, dass ich noch keine stolze Schwarze Frau bin, weil es für mich bedeutet, dass ich da über etwas spreche, von dem ich gar nicht richtig weiß, was es ist. Ich habe 5 Wochen meines Lebens in Rwanda verbracht, das bedeutet, dass mein Bild von dem Land sehr klein ist. Ich kann mich nicht als Schwarze Frau bezeichnen, denn ich weiß zu wenig darüber. Ich denke, dieses Bild wird sich genauer formen, wenn ich mehr Zeit dort verbringe.

 

Du siehst also einen Unterschied zwischen “Halbschwarz” und “ganz” Schwarz – schon allein auf die Bezeichnung bezogen?

Ja irgendwie schon! Aber auch wieder aus dem Grund, weil ich nicht weiß, ob ich das für mich beanspruchen kann. Denn ich weiß, dass ich hier sehr privilegiert aufgewachsen bin und wenn ich sage, dass ich Schwarz bin, habe ich das Gefühl, dass ich einen Begriff für mich nutze, der viel mehr Leid, Probleme und Konflikte beinhaltet, die ich so nie erlebt habe. Mein Vater wurde hier ganz anders aufgenommen als ich. Er hat also auch viel mehr über Rassismus zu sagen als ich und deswegen habe ich das Gefühl, ich würde damit den Menschen etwas wegnehmen, die wirklich etwas durchgemacht haben aufgrund ihrer Hautfarbe.

 

 

 

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Vielen Dank für deine ehrlichen Worte liebe Marie <3

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