Ich bin auf dem Weg zum Schlosspark in Charlottenburg. Die Bahn ist ausgefallen und ich verspäte mich nicht nur, sondern darf auch voller Freude bei 30 Grad 30 min. mit dem Bus weiterfahren -.- . Nichts desto trotz, freue ich mich, denn ich werde gleich, seit langer Zeit, mal wieder auf ein Geschwisterpaar treffen dürfen und ich bin mir ganz sicher, dass auch diese Schwestern, mir wieder etwas mitteilen werden, was ich bisher noch nicht festhalten konnte.
Name: Mae & Nisa
Alter: 21 & 19
Beruf: Auszubildende/Friseurin, Auszbildende/Fremdsprachenkorrespondentin
Herkunft: Türkei, Istanbul / Amerika, Alabama / Berlin
Seid ihr gebürtig aus Berlin oder woher kommt ihr?
Mae: Wir sind in Berlin geboren und als ich ca. 7 Jahre alt war, sind wir nach Nordrheinwestfalen gezogen in ein Dorf namens Rischenau. Vor 2 Jahren sind wir wieder zurück nach Berlin gekommen.
Nisa: Als Kind fand ich es eigentlich ganz gut dort aufzuwachsen, aber wenn man älter wird, möchte man ja auch mehr Möglichkeiten haben und die haben wir hier in Berlin.
Mae: Vorallendingen, wenn man ziemlich allein ist mit seiner Kultur. Wir waren mit einer anderen Familie die einzigen mit diesem Hintergrund. Deswegen war es am Anfang etwas schwierig, und wenn man nicht das Gefühl hat reinzupassen, fühlt man sich irgendwann auch nicht mehr wohl.
Woher kommen eure Eltern?
Mae: Unsere Mama kommt aus der Türkei (Istanbul) und Papa aus Amerika (Alabama).
Wie haben eure Eltern sich kennengelernt?
Nisa: Papa ist mit 19 Jahren nach Deutschland gekommen und hat einen Job gesucht und unsere Mutter ist mit ca. 18 Jahren, auch um studieren zu gehen und Arbeit zu suchen. Sie haben sich dann beide in einer Firma gearbeitet, sich kennengelernt und verliebt.
Wie sieht es denn kulturell bei euch zu Hause aus? Habt ihr viel von der türkischen Seite eurer Mama mitbekommen?
beide fangen an zu lachen
Mae: Ja! Und das bis heute noch! Ich glaube, das wird niemals aufhören. Manchmal ist es schwierig, denn die türkische Seite ist nicht einfach und auch ziemlich streng erst recht, wenn man den Islam noch dazu packt. Aber ich glaube dafür hat sie es ziemlich gut gemeistert, denn die amerikanische Kultur und die türkische unterscheiden sich ja total und das zu verbinden, dass muss ja auch erst mal funktionieren. Mein Papa ist zum Islam konvertiert und das hat vieles einfacher gemacht.
Sprecht ihr Türkisch?
Nisa: Ich kann es schon, aber ich spreche es nicht so gerne wegen meinem Akzent. Ich verstehe es aber sehr gut und antworte meistens auf Deutsch. Hätte unsere Mutter von klein auf mit uns Türkisch gesprochen, könnten wir es jetzt besser. Sie wollte zwar, dass wir beides lernen, aber am Ende war Deutsch doch mehr im Vordergrund.
Habt ihr auch Englisch gesprochen?
Nisa: Schon, aber eher, als wir älter wurden. Früher hat er auch versucht deutsch zu lernen, deswegen lag der Fokus nicht auf der englischen Sprache.
Mae: Heute wird andauernd Englisch gesprochen!
Wir werdet ihr wahrgenommen von Menschen, die einen türkischen Hintergrund haben?
Nisa: Erst mal kommen Blicke … Wir werden schon ziemlich angestarrt! Wenn wir z. B. Hochzeiten gehen usw. da fallen wir schon auf. Das ist etwas schwierig.
Mae: Du wirst direkt nicht als ganze Türkin aufgenommen. Man wird ziemlich schräg angeguckt. Wenn sie dann merken, dass man Türkisch versteht und spricht, sind alle verwundert, weil man eben nicht „typisch“ türkisch aussieht. Ich glaube, akzeptiert wird man nicht von Anfang an … selten!
Nisa: Meistens denken alle, wir gehören gar nicht dazu, sondern das wir Freunde der Familie sind.
Mae: lacht _ Ja, irgendwie traurig.
Wart ihr schon mal in der Türkei?
Mae: Früher ja, aber ich glaube, mit 4 Jahren war ich das letzte Mal dort. Ich habe aber auch nicht den Drang dort hinzugehen, um ehrlich zu sein! Es ist ein sehr schönes Land, aber durch unsere familiäre Situation habe ich nicht wirklich Lust dort hinzugehen.
Nisa: Ich würde schon gerne wieder dort hin. Wir haben unsere Familie dort nie richtig kennenlernen können. Seitdem wir älter sind, waren wir nie wieder dort und haben gar keinen Kontakt zu ihnen. Das ist schade!
Hatte eure Mama auch nie das Bedürfnis wieder dorthin zu reisen?
Mae: Sie war öfter da. Letztes Jahr war auch mein Vater das erste Mal mit. Ich glaube, sie würde schon gerne öfter zurück, wegen der Familie eben. Ihre ganze Familie ist dort, außer zwei Schwestern, die auch in Deutschland leben.
Und in den Staaten, wart ihr dort schon?
Nisa & Mae: Noch nie, leider!
Euer Vater war also auch nie wieder in seinem Heimatland?
Mae: Mein Vater war, seitdem er mit der Army nach Deutschland gekommen ist, nie wieder in Amerika. Ich wünsche ihm sehr, dass er das bald endlich wieder kann.
Seid ihr Deutsche?
Mae: Auf dem Pass nicht, aber ich sehe mich zum Teil auch als Deutsche. Ich bin hier aufgewachsen, deswegen kann ich nicht sagen, dass nur weil meine Eltern nicht Deutsch sind, dass ich es auch nicht bin. Wenn man mich fragt, woher ich komme, sage ich nicht, dass ich Türkin/Amerikanerin/Deutsche bin, dann bin ich Türkin/Amerikanerin und komme aus Berlin. Ich würde nie auf die Idee kommen zu sagen, dass ich Deutsche bin, weil die Menschen das sowieso nicht akzeptieren und deswegen habe ich das schon lange aufgegeben.
Nisa: Ich bin mir da nicht so sicher … Irgendwie hast du ja schon recht, aber ich fühle mich nicht wirklich deutsch. Da mich immer jeder fragt, woher ich komme, habe ich das Gefühl, dass das nicht so richtig ist, mich als Deutsche zu bezeichnen.
Bist du dir da nicht sicher, wegen dem Gefühl, was andere Menschen dir geben oder ist das dein Bauchgefühl?
Nisa: Ich lebe hier, deswegen sollte ich mich ja schon irgendwie auch teilweise deutsch fühlen. Aber meine Eltern sind es nicht und deswegen, weiß ich nicht… bin ich es auch nicht. Das ist etwas kompliziert.
Was bedeutet denn Deutschein für euch?
Mae: Ich finde, Deutschland ist ein sehr stolzes Land – das ist wahrscheinlich jedes Land, aber in Deutschland ist es sehr auffällig. Man hat hier natürlich andere Möglichkeiten als in anderen Ländern, aber ich kenne kein anderes Land, weshalb ich sagen könnte, damit identifiziere ich mich mehr oder weniger, deswegen ist Deutschland für mich Heimat. Wir sind hier hingekommen und durften hier gesund groß werden, haben Gesundheit geschenkt bekommen und hatten ein Dach über dem Kopf. Deutschland bedeutet für mich Leben, ein gutes Leben! Auch wenn man hier nicht viel hat, kann man trotzdem viel tun, was man in anderen Ländern vielleicht nicht kann.
Könnt ihr das fassen, das Wort Deutschsein? Könnt ihr das richtig bezeichnen, was das für euch bedeutet?
Nisa: Für mich bedeutet Deutschsein, wenn die Eltern Deutsch sind und das sind meine eben nicht.
Mae: Für mich ist es, als müsste man bestimmte Richtlinien erfüllen, um sich Deutsch nennen zu dürfen. Wenn man nie akzeptiert wird, als Deutsche, dann möchte man es irgendwann auch nicht mehr und glaube, das ist das, was Nisa meint.
Spielt es eine Rolle für euch, sich als Deutsch bezeichnen zu können?
Mae: Ich mag es generell nicht, wenn man sich so in Länder aufteilt. Egal welche Vorteile und Nachteile jedes Land hat, am Ende des Tages ist man einfach nur Mensch, fertig! Da reagiere ich allergisch drauf. Allein diese Frage: Woher kommst du denn? Das steht immer im Zusammenhang mit Ausgrenzung. Mich fasziniert es, woher Menschen kommen, weil die Geschichte dahinter, wie diese Menschen sich getroffen haben interessant ist, aber das hat man hier nicht. Hier ist es einfach nur kalt und das muss nicht sein. Ich finde, es wird immer schlimmer, besonders in Berlin. Diese Blicke, die man immer zugeworfen bekommt, wenn man schon in die Bahn einsteigt … deswegen fühlt man sich von Tag zu Tag immer weniger heimisch.
Man sagt ja, dass Berlin unglaublich “multikulturell” ist, fühlt ihr euch hier denn frei?
Mae: Im Gegensatz dazu, wo wir vorher gelebt haben, ist es mega frei!
Nisa: Die jüngeren Menschen hier sind okay, aber bei den älteren ist es krass. Sie gucken richtig, fangen auch an zu reden und das merkt man eben, weil sie einen vorher schon von oben bis unten gemustert haben.
Mae: Ich meine, es kann ja auch sein, dass sie einen angucken und total fasziniert sind von einem, aber dann kann man es ja auch so rüberbringen, indem man kurz lächelt. Wenn man aber glotzt, dann fühlt man sich beobachtet und dann macht man sich Gedanken darüber, was dem Menschen an einem jetzt schon wieder nicht passt, obwohl es vielleicht gar nicht so ist. Damit macht man sich immer wieder selber den Stress, dass dort wieder eine Person ist, die einen nicht so akzeptiert, wie man ist. Die gibt es immer, aber in Berlin ist es oft so, dass man dumme Kommentare bekommt, von älteren Generationen oder, dass sie einen gar nicht beachten. Und das meine ich wirklich so – man wird angerempelt und einfach ignoriert. Man bekommt ja immer eingetrichtert, dass man so was einfach ignorieren soll, aber warum soll ich das ignorieren? Ich lebe hier doch genauso, wie alle anderen Menschen und habe die gleichen Rechte! Aber ich kann trotzdem sagen, dass ich mich in Berlin erstmals wirklich selbst akzeptiert habe und mich so zeige, wie ich bin, das ging vorher, in dem Dorf aus dem wir kamen, nicht.
Nisa: Hier ist es auf jeden Fall besser! Früher waren wir die Einzigen und sozusagen im Fokus. Dort hat man nicht jeden Tag Menschen mit Afrohaaren gesehen oder mit dunkler Haut. Deswegen war es dort immer ein Highlight und dann wurde geredet, auch schlecht geredet. Man hat dort schon angefangen sich anzupassen – seine Haare zu glätten, sich so anzuziehen, wie alle anderen, damit man nicht auffällt … Hier konnten wir uns öffnen und das ist schon cool! Ich trage auch meine Locken erst, seitdem wir hier sind, ich habe sie früher gehasst.
Mae: Das alles ist mir erst bewusst, seitdem ich hier bin. Ich habe mich hier um 360 Grad gedreht. Ich sage das, was ich denke, ich trage, was ich schön finde, ich höre, was ich mag … das hatte ich in unserer alten Heimat nicht.
Bezeichnet ihr euch selbst als Schwarze Frauen?
Mae: Wenn du jetzt fragst, ob wir uns eher Schwarz (amerikanisch), türkisch oder deutsch sehen, dann bin ich auf jeden Fall als erstes Schwarz. Das hat zwar lange gedauert, aber so ist es jetzt.
Nisa: Genau!
Wie war das vorher?
Nisa: Da kamen immer Leute und sagten, dass man nicht richtig Schwarz ist, weil man nicht so dunkel ist.
Mae: Da kamen dann auch wieder die verschiedensten Bezeichnungen bei raus und man wurde wieder abgegrenzt. Ja, wir sind Mischlingskinder, aus zwei verschiedenen Kulturen, aber Schwarz ist Schwarz, ob hell oder dunkel spielt da keine Rolle!
Am Anfang sagtest du Mae, dass euer Vater dem Islam beigetreten ist, also gehe ich mal davon aus, dass eure Mama gläubig ist?! Trägt sie ein Kopftuch?
Nisa: Ja! Und sie hat auch schon öfter die Frage gehört, ob ihr nicht warm ist oder man sagte ihr, dass sie aussieht, wie ein Kartoffelsack.
Mae: Das sind Sachen, die müssen einfach nicht sein. Natürlich ist ihr warm, aber wenn man etwas aus Überzeugung tut, dann spielt das keine Rolle. Nonnen werden auch nicht gefragt ob ihnen warm ist und da sieht man direkt wieder, wo das Problem ist. Bei manchen ist es Sticheln und andere interessiert es wirklich und das kann ich dann auch verstehen. Wenn man dann aber als kleines Kind mit seiner Mama im Schwimmbad sitzt und sie solche Fragen bekommt oder beleidigt wird, fühlt man sich für sie schlecht. Und das ist traurig, denn man kennt seine Mama nur so und es spielt keine Rolle, für einen selbst ist sie einfach nur eine toughe Frau. Da macht man sich dann auch Gedanken, wenn Menschen die eigene Mutter, wie ein Alien behandeln, nur weil sie in der Sonne Kopftuch trägt. Aus diesem Grund bin ich da einfach bei vielen Fragen auch sehr empfindlich geworden, weil sie einfach sinnlos sind. Aber es geht auch oft darum, wie man fragt!
Seid ihr gläubig, wenn ja, wie wichtig ist der Glaube für euch?
Nisa: Ja sind wir und mir ist es sehr wichtig! Wir wurden ja so groß gezogen und auch unseren Pflichten so nachzugehen. Religion war für mich also schon immer ein wichtiger Teil.
Mae: Ich bin in der Familie, glaube ich die, die am wenigstens danach lebt. Klar glaube ich an Allah und an die ganzen Dinge, die vorgeschrieben sind und versuche bestmöglich danach zu leben, aber ich bin ein Mensch, der keine Dinge tut, von denen er nicht überzeugt ist. Ich sehe mich als Moslem, aber ich sage jedem, der mich danach fragt, dass ich kein Vorbild bin. Ich mache Fehler tagtäglich, aber ich bete für Hilfe, dass irgendwann der Tag kommt, dass ich mich so benehme, wie er es sich vorstellt.
Gab es da Konflikte, in der Familie, was euer Verhalten bezüglich des Glaubens angeht?
Nisa: Wir wurden schon so erzogen, dass wir uns z.B. nicht zu freizügig anziehen, aber unsere Mama hat uns nie dazu gezwungen ein Kopftuch zu tragen. Sie sagt uns, was falsch ist und hofft, dass wir den richtigen Weg gehen.
Mae: Sie zwingt uns zu nichts, weil das nicht richtig ist, denn dann macht man es nicht aus Liebe oder Vernunft. Man macht es dann, weil es einem vorgeschrieben wird. Nisa lebt den Glauben ganz anders aus, ich freue mich für sie, dass sie das so durchzieht und so aus Überzeugung macht. Ich bin ein ganz anderer Mensch, wenn man mir vorschreibt, was ich tun soll, mache ich das genaue Gegenteil. Wenn man Menschen Diktator mäßig mit erhobenem Finger etwas aufzwingt, bringt es niemandem etwas. Ich finde, das ist ganz oft der Fehler, der in der türkischen Kultur gemacht wird. Den Kindern wird etwas aufgezwungen und sie sind eigentlich gar nicht so, wie sie sich geben. Das ist doch traurig, denn dann macht es keiner aus Liebe zu dem Islam. Unsere Mom akzeptiert uns (und meine 3 weiteren Geschwister) so, wie wir sind und das ist ganz selten in dieser Kultur. Und darauf bin ich sehr stolz.
Nisa: Ja das stimmt!
Danke euch, für den kleinen Einblick in euer Leben Mae & Nisa <3
Mehr von Mae & Nisa findet ihr auf:
Instagram / Instagram