Es ist heiß in Berlin, endlich wieder Zeit für nackte Beine und Kleider! Doch heute ist es, trotz strahlender Sonne, etwas milder, worüber meine heutige Gesprächspartnerin mit Sicherheit nicht böse ist, denn Linda ist hochschwanger. Ihre zweite Tochter soll in einer Woche zur Welt kommen. Trotzdem hat sie sich etwas Zeit für unser Gespräch genommen. Linda sieht, wie erwartet, wunderschön aus und bei diesem “Mami Glow” bekomme ich direkt Babyfever, aaaaber zurück zu unserem Gespräch …
Name: Linda
Alter: 28
Beruf: Mutter (2 Töchter) / Stylistin
Herkunft: Kenia / Berlin
Du wurdest nicht in Deutschland geboren, erzähl mir doch ein bisschen darüber, wie du und deine Familie ihren Weg nach Deutschland gefunden haben!
Meine Mama kommt aus Kenia. Mit 13 Jahren hat sie mich nach Deutschland gebracht – ich bin also relativ spät hier hingekommen. Ich glaube, ich habe auch erst mal drei Jahre gebraucht, bis ich mich hier wirklich zurechtgefunden habe. Ich bin damals sofort auf eine deutsche Schule gekommen. Das bedeutete, ich musste sofort Deutsch lernen. Dadurch bin ich mit der deutschen Kultur natürlich von einem auf den anderen Tag in Berührung gekommen und hatte das Gefühl, ich müsste mit meiner afrikanischen Seite einen Cut machen. Ich habe einen deutschen Stiefvater und bin auch ziemlich deutsch aufgewachsen. Ich habe drei afrikanische Freundinnen, mit denen ich schon ca. 12 Jahre befreundet bin, aber ansonsten bin ich eigentlich mehr mit Deutschen aufgewachsen oder auch Türken, Arabern und vielen anderen Nationalitäten. Ich war aber schon immer irgendwie ein kleiner Außenseiter, da ich mich nie angepasst habe. In meiner Tradition wurde immer viel erwartet, was ich nicht erfüllt habe, deswegen haben Schwarze Mädels mich oft nicht als Schwarze akzeptiert. Es hieß immer: „Du bist so deutsch!“ Als ich dann in die Pubertät kam, fing es dann so an, dass die Schwarzen, um mich herum, miteinander gespielt haben oder viel miteinander zu tun hatten und ich habe da nie so richtig reingepasst. Es ist ja auch anders, wenn du in Afrika aufwächst und später nach Deutschland kommst oder ob du hier geboren bist. Ich finde leider, dass viele, die hier geboren sind, oft ein afrikanischeres Denken haben, als die, die wirklich in Afrika aufgewachsen sind. Sie haben z. B. ein ganz anderes Bild, denn sie fliegen ja nur zum Urlaub machen nach Afrika. Sie sind dort nicht aufgewachsen oder zur Schule gegangen und wissen gar nicht wirklich, wie es dort ist. Hier wird dann immer nur gemeckert, von wegen, Deutschland ist ja so und so und das ist nicht gut etc. und dann denke ich immer: Lebt erst mal dort und geht dort zur Schule, dann werdet ihr euch freuen, dass ihr in Europa seid und die ganzen Freiheiten (Redefreiheit) zu schätzen wissen! Die hat man dort nicht als Kind! Dort muss man funktionieren, sitzen und gute Noten nach Hause bringen – man hat hier einfach mehr Möglichkeiten. Es war zeitweise schon ziemlich anstrengend als Kind in Afrika und vielleicht habe ich deshalb auch sehr viel von der deutschen Mentalität angenommen. Ich bin trotzdem Afrikanerin! Ich fliege auch jedes Jahr nach Kenia, aber bin trotzdem immer wieder froh, zurück in Deutschland zu sein. Das muss ich ehrlich sagen!
Als du hergekommen bist, hast du also nicht das Gefühl gehabt, etwas zu vermissen?
Doch, das habe ich! Deswegen sagte ich ja, drei Jahre habe ich schon gebraucht … Ich habe meinen Vater zurückgelassen, meine Freunde (mit 13 Jahren hat man da ja schon einige) und ich kannte ja auch nur ein bestimmtes Schulsystem (welches viel strenger war / wenn man schlechte Noten hatte, wurde man noch geschlagen). Ich war, als ich herkam, wirklich sehr schüchtern, denn ich kannte dieses Lockere nicht, dass man z. B. anziehen durfte oder wählen kann, was man machen möchte. Das gab es bei uns nicht! Bei uns war festgelegt, welche Frisuren Mädchen haben, welche Uniform getragen wird, aber das habe ich dann schon irgendwie trotzdem vermisst. Ich hatte das Gefühl, dass es hier überhaupt keine Struktur gibt, es war einfach so anders und deswegen dauerte es etwas, bis ich verstanden habe, dass es mir so, doch viel besser gefällt.
Obwohl ich mich mittlerweile aber als Deutsche sehe, fühlt man sich hier leider trotzdem nicht immer zu 100 % Wilkommen, aber das Problem habe ich ja mittlerweile auch in Kenia, denn dort sieht man mich weniger als Kenianerin, sondern eher als Deutsche. Da ich jedes Jahr nach Kenia gehe, habe ich mir dort aber wieder ein Netzwerk aufgebaut und habe Freunde und Familie dort, auf die ich mich dann sehr freue, wenn ich zurückfliege.
Fliegst du dann immer mit deiner Mama oder eher alleine?
Ich fliege alleine. Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich überhaupt wieder nach Kenia wollte, weil ich mich in meiner Pubertätszeit wirklich komplett von der afrikanischen Seite entfernt habe. Ich wollte damit nichts mehr zu tun haben, habe die Sprache nicht mehr gesprochen und wollte nicht mehr dort hinreisen. Ich glaube, ich bin 8 Jahre nicht mehr in Afrika gewesen, bis ich dann irgendwann das Gefühl hatte, das irgendetwas fehlt. Und so war es auch! Als ich dann endlich wieder zurückgegangen bin, war ich 2 Monate lang dort (nach meiner Ausbildung) und habe gemerkt, was ich alles so verpasst habe in diesen 8 Jahren. Seitdem fliege ich wieder jedes Jahr.
Hatte deine Mama auch schon immer eine sehr hohe Erwartungshaltung, was deine Leistung und Zukunftspläne betraf?
Meine Mutter war schon immer anders. Sie war lockerer und offener und deswegen glaube ich auch, dass sie deshalb hierhin gezogen ist, um dem ganzen Lebensstil zu entkommen. Sie hat immer versucht mich nicht zu afrikanisch zu erziehen. Es war ihr immer sehr wichtig sich diesem Land anzupassen. Sie spricht perfekt Deutsch und hat deutsche Freunde usw. Das fing in meiner Familie aber schon bei meiner Oma an. Sie ist auch damals schon nach Deutschland gegangen und hat nur die zwei jüngsten Kinder aus der Familie mitgekommen. Daher war meiner Mutter dieses Land auch schon bekannt, weil sie zwischendurch zu Besuch hier war.
Ich bin froh, dass ich in Kenia aufgewachsen bin, weil ich dadurch meine Wurzeln kenne und nicht, wie viele andere, die in Deutschland geboren wurde, noch nach diesen suchen muss. Deswegen ist es mir auch wichtig, dass meine Tochter es von Anfang an kennengelernt hat, sowohl mein Heimatland, als das ihres Vaters. Kultur ist wirklich sehr wichtig und man sieht bei vielen, dass es ihnen fehlt, wenn sie es nicht kennenlernen konnten.
Du bist als Stylistin tätig, wie kam es dazu?
Ich habe hier mein Fachabi gemacht, dann bin ich schwanger geworden. Nachdem ich meine Tochter bekommen hatte, habe ich eine 3-jährige Ausbildung zur Bürokauffrau angefangen und nebenbei viel in der Gastronomie gearbeitet. Irgendwann habe ich gemerkt, dass es das nicht ist. Ich habe dann angefangen zu bloggen, mit einer Freundin, sie ist Fotografin (@herz.und.blut). Dadurch habe ich mit dem Styling begonnen und habe immer wieder viel für Kindermagazine gemacht. Jetzt gehe ich in den Mutterschaftsurlaub. Danach würde ich gerne studieren.
In welchem Bereich?
Am liebsten würde ich auf Lehramt studieren. Das war schon immer mein Traum! Bevor ich zum zweiten Mal schwanger wurde, wollte ich eigentlich nach Kenia für ein Jahr, aber das hat sich ja jetzt erledigt.
lächelnd schaut Linda auf ihren Bauch
Ich fände es irgendwie auch ganz schön, wenn wir irgendwann alle zurückgehen würden. Dem Land tut es auch gut, weil man ihm auch viel zurückgeben kann. Mal schauen! Man muss ja auch einen Job finden, der mit Kindern zu vereinbaren ist, aber ich weiß, dass ich auf jeden Fall mit Kindern arbeiten möchte.
Wie setzt deine ältere Tochter sich mit ihrer Herkunft auseinander, denn ihre Eltern haben ihre Wurzeln ja sowohl in Kenia als auch in Thailand?
Kinder sind manchmal sehr böse. Und bei ihr fing es im Kindergarten schon an, dass sie sich ausgeschlossen gefühlt hat und geweint hat, weil sie nicht so lange Haare hätte, wie die anderen und eine andere Hautfarbe hat usw. Die Kinder gaben ihr das Gefühl anders zu sein und dann fing sie an viele Fragen zu stellen. Ich habe ihr gesagt, dass das normal und schön ist und sie genau ist, wie alle anderen auch. Mittlerweile geht sie ganz anders damit um. Ich habe damals dann mit dem Kindergarten gesprochen (ich bin dort auch Vorsitzende) und wir haben uns überlegt, dass wir jeden Monat einen Kulturtag machen. Mütter verschiedenster Nationalitäten haben dann z. B. ein Buch vorgelesen in ihrer Sprache und dadurch wurde es besser. Denn die Kinder sind ja sehr interessiert, und wenn sie es zu Hause nicht lernen, verstehen sie oft nicht. Ich finde das sollte man sowieso viel mehr in Kindergärten einführen. Man muss den Kindern die Unterschiede erklären und beibringen, damit es normal wird. Deswegen ist es in diesem Land, glaube ich, auch so, dass sich viele Schwarze Kinder anders fühlen, weil man das von klein auf schon so eingetrichtert bekommt. Aus dem Grund gehe ich vielleicht mit dem „Schwarzsein“ auch ganz anders um, denn ich hatte das als Kind nicht, da war das kein Thema.
Bezeichnest du dich selbst als Schwarze Frau?
Ich sehe mich als Schwarze Frau! Ich finde es schade, dass wir immer in einen Topf geschmissen werden und erwartet wird, dass eine Schwarze Frau so und so zu sein hat. Weil ich finde, solange ich mich selbst als Schwarz fühle oder sehe, bin ich das auch! Ich muss nicht jeden Tag afrikanische Musik zu Hause hören oder nonstop afrikanisch kochen oder nur diese Kultur leben, um sagen zu können, dass ich Schwarz bin. Ich finde mittlerweile gehört viel mehr dazu und man sollte offen für alles sein, denn es gibt Schwarze überall auf der Welt.
Natürlich hat man es in Deutschland noch etwas schwerer, wenn man Schwarz ist, als in anderen Ländern, wie z. B. London oder den Niederlanden. Aber es wird langsam besser und ich finde es ganz wichtig, dass man seine Hautfarbe nicht als Ausrede benutzt, irgendetwas in seinem Leben nicht geschafft zu haben. So sehr man sich darauf versteift, umso weniger ist die Möglichkeit es zu schaffen. Egal, wo ich hingehe, ich sehe mich immer als gleichwertig! Natürlich weiß ich, dass ich Schwarz bin, aber ich stelle das nicht in den Vordergrund, sondern sehe mich in erster Linie als Frau und möchte auch so gesehen werden.
Eigentlich fängt das Problem schon bei uns selbst an … dass wir nicht zusammenarbeiten und uns gegenseitig nichts gönnen und das ist sehr traurig. Ich hoffe, das ändert sich bald, denn ich hatte eine zeitlang einen großen Drang, mich mit Schwarzen Frauen zusammenzusetzen, sich zu unterhalten oder etwas gemeinsam aufzubauen, aber leider hat es nie funktioniert.
Danke für deine ehrlichen Worte liebe Linda!
Wer mehr von dem wundervollen Mutter-Kind-Trio sehen möchte und Linda’s tollen Stil verfolgen will, findet sie unter: