5 Interviews, 5 verschiedene Städte und das alles in 6 Tagen. Reisefieber und Zeitdruck, denn das Buch muss fertig werden… Doch ich bin froh, zum ersten Mal Druck, auf solch eine positive Weise zu erfahren. Ich treffe in Alice in Köln, in der Wohnung ihrer Schwester Sophie. Ich lerne sie zum ersten Mal kennen… Darüber freue ich mich sehr, denn ich darf nicht nur die Familie meiner Freundin kennenlernen, sondern ich kann mich zusätzlich mit einem Menschen auf tiefere Weise befassen, dem ich zuvor noch nie begegnet bin. Ich bin gesundheitlich leicht angeschlagen, aber das soll mich nicht aufhalten, deshalb machen wir es uns auf Sophie’s Bett gemütlich. Und dann geht es auch schon los…

Wer bist du, woher kommst du und was machst du?

Ich bin Alice Haruko Hasters. Ich wurde 1989 in Köln geboren und wenn die Leute fragen wo ich herkomme, dann sage ich, woher meine Eltern kommen. Mein Vater ist zusammengefasst Deutscher und meine Mutter ist zusammengefasst, was man unter den Begriff Afro-Amerikanisch fassen würde. Meine Mama hat indianisch/karibische und mein Vater holländische Einflüsse. Zurzeit studiere ich Sport und werde ab Oktober Journalismus studieren.

Hast du Geschwister?

Ja, zwei ältere Schwestern, eine ist gerade 30 geworden und die andere ist 26 Jahre alt.

Mama Elisabeth & Papa Herbie / Sophie, Alice und ihre älteste Schwester Laura

 

Was würdest du sagen, welche Kultur bei euch zu Hause gelebt wurde?

Ich glaube, dass es sehr gemischt war. Ich muss wirklich sagen, dass ich nicht nur das Glück hatte meine Mutter zu kennen, sondern auch meine Großmutter, welche auch nach Deutschland gezogen ist. Es ist ja oft bei „Mischlingen“ so der Fall, dass eine Seite weniger oder gar nicht vertreten ist und ich sehe das als großes Glück an, dass ich als Kind schon relativ viele Afro-­Amerikaner kannte und um mich herum hatte. Mir wurde so die amerikanische Kultur genauso vorgelebt wie die deutsche. Ich habe auch eine sehr große deutsche Familie, mit der wir immer sehr engen Kontakt hatten und mit denen ich mich auch immer sehr wohl gefühlt habe. Wenn man auf die Kindheit schaut, ist es mir gar nicht so bewusst gewesen, dass es zwei Kulturen gab. Von meinem Empfinden her gab es da auch sehr wenig Reibung. Ich habe auch Cou­sinen und Cousins aus meiner deutschen Familie, bei denen ich mich nie anders gefühlt habe. Ich muss sagen, das hat in meiner Familie sehr gut geklappt. Ich bin bilingual aufgewachsen und habe mit meiner Oma, die nur Englisch sprach, nur Englisch geredet. Das Einzige, was mir später, als ich etwas älter war, auffiel, war, dass meine Oma sehr wenig über die Vergangenheit erzählt hat. Was ihre und meine Herkunft anging und was in Amerika passiert ist, hat sie eher etwas hinter sich ge­lassen und das habe ich erst raus gefunden, als ich selbst mehr auf die Suche meiner Herkunft gegangen bin. Was wirklich alles dahinter steckt, das habe ich dann erst erfahren, als ich mit 16 Jahren für ein Jahr als Austauschschülerin nach Phila­delphia gegangen bin. Es stand bei mir also wirklich nicht Vordergrund.

Das wäre auch eine meiner Fragen gewesen, ob dir die Unterschiede zwischen den Herkünften
verschiedener Menschen klar waren in jungem Alter?!

Ich kann es wirklich nicht so klar sagen was Erinnerungen oder was Vermutungen sind. Ich weiß von meiner Mutter, dass ich als Kind z.B. oft schwarze Menschen ange­sprochen habe, wenn sie im Zug waren oder ich sie auf der Straße getroffen habe. Von daher lässt sich irgendwie darauf schließen, dass ich schon irgendwie ein Bewusstsein dafür hatte, dass sie aussehen wie ich und ich mich diesen Menschen schon zu­gehörig empfunden habe. Das weiß ich nur durch meine Mutter, selbst kann ich mich daran gar nicht mehr erinnern. Ich habe als Kind den Unterschied nie gesehen. Es war meine Normalität, die wurde auch sehr gut angenom­men von den Menschen die uns umgeben haben und ich habe es sehr selten erfahren, dass man ausgeschlossen wurde aufgrund seiner Hautfarbe oder Herkunft. Ich war eigentlich immer eher stolz. Ich glaube auch, weil ich die jüngste von zwei Schwestern war, hatte ich nie das Gefühl ich sei alleine. Dadurch das ich meine Schwestern immer nah an meiner Seite hatte, die ja genauso waren wie ich, spielt das glaube ich auch eine große Rolle. Ich schätze meine älteste Schwes­ter würde vielleicht noch einmal andere Dinge sagen als ich. Das ist natürlich auch eine Frage die mir oft gestellt wird, ob ich mich irgendwie ausschlossen gefühlt habe, weil das oft vermutet wird, aber es begegnet mir heutzutage tatsächlich öfter als damals. Vielleicht ist das auch so, weil ich sensibler geworden bin und ein anderes Bewusstsein dafür entwickelt habe.

Glaubst du das es für euch, wenn es um eure eigene Identifikationsfrage ging, auch anders,
weil eure Mutter die dunkelhäutige Person war?

Ich glaube schon. Das sind alles solche Sachen die mir irgendwie im Nachhinein kamen. Solche Gedanken kamen mir erstmals, als ich Menschen kennengelernt habe, die vielleicht nur einen Teil ihrer Eltern kannten und viele Leute getroffen habe, die einen schwarzen Vater hatten. Da wurde mir erst bewusst, dass das irgendwie oft anders war, dass sie oft einen anderen Umgang mit ihrer Identität hatten. Also, ich glaube schon das, als Frau eine schwarze Mutter zu haben – die natürlich auch ein Vorbild war durch ihre Eigenständigkeit, ihr Selbst­bewusst­sein und ihre Stärke –  einen Unterschied für mich gemacht hat. Wenn ich Menschen beobachte, bei denen Defizite auf­grund der Hautfarbe oder der Herkunft bestehen, die sich auf­grund ihrer Hautfarbe minder­wertig fühlen und es selbst glauben und nicht weil andere es ihnen sagen, glaube ich schon, dass ich großes Glück hatte, meine Mutter zu haben. Irgendwie ist das ja auch verbandelt, die Iden­tität als Frau und die Identität als schwarze Frau. Man kann, glaube ich, Rasse und Geschlecht bei vielen Fragen auch gar nicht so gut trennen. Deshalb glaube ich schon, dass es mich eher gestärkt hat.

Du sagtest, dass es bei euch zu Hause sehr vermischt war und man nie wirklich das Gefühl hatte,
dass irgend­etwas anders war oder die andere Familie anders ist, war es denn überhaupt mal ein Thema,
was bei euch zu Hause angesprochen wurde?

Ich glaube, wo es anfing für mich nicht normal zu sein, oder wo sich Unterschiede aufgetan haben, war tatsächlich während der Trennung meiner Eltern. Die Trennung meiner Eltern war ein ganz lang­wie­riger Prozess, das hat glaube ich angefangen als ich 8 war und ging bis ich 17 Jahre alt war, es ging also recht lange. In diesem Zuge kam das auch mal auf, dass mir aufgefallen ist, dass da eine ganze Familie ist (eine ganze Hälfte) die ich nicht kenne. Eine Hälfte, die auch nie wirklich präsent war. Wir hatten unsere Oma hier und das war irgendwie die „andere Hälfte“ und gefühls­­mäßig hat da nichts gefehlt. Dieses Gefühl kam dann erst, als ich das erste Mal nach Amerika gegangen bin, da war ich 10 oder 11 Jahre alt. Man ging da in ein fremdes Land, ein Land, das man aber auch immer als sein zweites Heimatland gesehen hat. Ich habe mich auch immer als Amerikanerin identifiziert. Obwohl ich das Land gar nicht kannte, war es auch irgendwie mein Land. Dort traf man dann Familienmitglieder, die man nie zuvor getroffen hatte. Diesen begegnete man aber mit einer direkten Verbundenheit. Diese Menschen waren keine Fremden, sondern direkt Familie und es wurde gar nicht in Frage gestellt, dass man dazu gehört. Dieses Gefühl fand ich schon erstaunlich! Dieses Erlebnis, sich irgendwo zugehörig zu fühlen, wo man eigentlich nie war. Sich Menschen zugehörig zu fühlen, die man ja eigentlich gar nicht kannte. Da merkte man doch, dass so etwas wie Herkunft doch schon stärker ist, es ist also nicht nur ein Hirngespinst und etwas was die Leute sich erzählen, es hat irgend­­wo doch schon eine gewisse Kraft. Ich hatte es auch nie, dass ich meinen Vater damit konfrontiert habe, wie es für ihn war drei schwarze Kinder zu haben. Wir hatten sehr weltbürgerliche Eltern die auch sehr viele gemischte ausländische Freunde hatten, weshalb dieses Thema nie eine Rolle gespielt hat. Zusätzlich sind wir ja auch mitten in Köln groß geworden, wo es auch alles sehr gemischt war, das hat glaube ich auch noch einmal einen Unterschied gemacht.

sophiealice2_photo_by_dominique_booker

Du warst ja in Amerika für 1 Jahr… Wie wurdest du dort aufgenommen? Gab es da Unterschiede?

Ja, also der Aufenthalt in den Staaten hat sehr viel getan für meine Identität. Dadurch habe ich irgendwie sehr viel darüber heraus gefunden, wer ich bin und wie ich mich sehe. Ich bin da sehr dankbar für, dass ich mich ein Jahr quasi auf der anderen Seite bewegt habe. Es war irgendwie ein Fremdsein in einer ganz verschobenen Art. Für die Amer­ikaner war ich die Deutsche und ich habe mich auch erstaunlich deutsch gefühlt. Man bezeichnet ja als Mischling auch oft Sachen als Deutsch oder typisch Deutsch, weil man sich irgendwie damit nicht identifizieren kann oder es anders kennt. Da war es dann aber so, dass ich teilweise meine Grenzen entdeckt hab, wie ich mich mit der Afro-Amerika­nischen Kultur identifizieren kann. Die Eckpfeiler der Kultur sind ja die Sprache, das Essen, die Klei­dung und die Umgangsform. Wenn man jetzt z.B. von der Sprache ausgeht, dass ich nicht geredet habe wie Afro-Ameri­kaner, dass ich dort mit meinem halben Schulenglisch und der anderen Hälfte Englisch, die ich zu Hause gelernt habe, ankam und bemerkt habe, dass ich mich anders ausdrücke und einfach das ich auch manchmal andere An­sichten hatte, das war schon wichtig. Auf der anderen Seite war es so schön und so angenehm einfach mal viele schwarze Men­schen um sich herum zu haben. In den Bus zu steigen, in dem nur Schwarze saßen und dass das irgendwie schön war. Gerade als es aufgehoben war, habe ich schon bemerkt, dass es irgendwie einen Unterschied gibt, z.B. diese Blicke die man hier bekommt, weil man seine Haare offen trägt, auch wenn es nicht böse gemeint ist, man fällt hier einfach auf, dass gab es dort nicht. Ich habe dort auch einfach viele schwarze Freunde gehabt, bzw. ist das auch noch so eine Sache, ich hatte viele Freunde, die auch Mischlinge waren. In Amerika habe ich auch gemerkt, dass Schwarzsein, nicht gleich Schwarzsein bedeutet. Hier ist es ja schon so der Fall, dass es einfach generalisiert wird, weil es einfach eine Minderheit ist, die dann zu klein ist, um sie in sich zu differenzieren für die Mehrheit. Ich habe dort erstmals Feindselig­keiten bei den Schwarzen untereinander gesehen, was z.B. das Thema Haare, Haarstruktur, Hautfarbe anging und das dort wirklich unterschieden wird. Da habe ich auch gemerkt, dass ich da viel gefestigter bin, in manchen Teilen im Bezug auf meine schwarze Identität als manche Afro-Amerikaner dort. Hier (in Deutschland) versucht man irgendwie gar nicht dem Schönheitsideal der Schwarzen zu entsprechen, dass man z.B. unbedingt seine Haare glätten muss, Bleichcreme benutzt und all solche Dinge, so was ist mir hier nie wirklich begegnet. Dann komme ich dorthin und Leute finden es ganz merkwürdig, dass ich meine Haare nicht glätte und sagen, dass ich ja Glück hätte, weil ich eher hellhäutig bin. Solche Sätze habe ich hier nie gehört und habe gemerkt, dass mich besonders viele Mädchen schon bewundert haben, dass ich meine Haare nicht glätte, sich selbst aber nie getraut hätten, weil sie sich einfach häss­­lich fanden mit ihrer natürlichen Haarstruktur. Da muss ich sagen, das fand ich erstaunlich, dass ich dort hingehe und dann in vielen Dingen ganz ungewollt gefestigter bin oder mehr inneren Frieden habe damit, dass ich aussehe, wie ich aussehe und dadurch auch gar nicht die Ambition hege „weiß“ aussehen zu wollen.

Man kann also schon zusammenfassen, dass der Großteil deiner Erfahrungen dort eher positiv war?

Das war jetzt so das Allgemeine, wenn es jetzt um meine Familie geht, dann war da auch viel Schmerzhaftes dabei. Ich habe gemerkt, dass auf dieser Seite viel mehr Zerrissenheit und viele traurige Schicksale sind, die durch die Ungerechtigkeit entstanden oder geprägt sind durch den Rassismus, als mir bewusst war. Da habe ich gemerkt, dass wenn man so auf Amerika blickt, dass man als schwarzer Mensch in Amerika gesellschaftlich wirklich anders angesehen wird und ich kann es jetzt auch hunderprozentig nachvollziehen, dass es dort Menschen gibt die glauben, sie können etwas nicht erreichen, weil einem von Anfang an Steine in den Weg gelegt wurden, auf­­grund der Hautfarbe. Dadurch, dass meine Mutter sich diesem Ganzem irgendwie entzogen hat, haben wir auch noch eine ganz andere Chance bekommen.

Glaubst du in diesem Kontext, dass man es in Deutschland leichter hat, als dunkelhäutiger Mensch?

Ich glaube zumindest, das ändert sich noch einmal. Ich glaube, z.B. in einer Stadt wie Köln hat man relativ geringe Einschrän­­kun­gen, aber es ist auch schon mir begegnet in jüngeren Jahren, dass ich aus der Schauspielagentur geflogen bin, da die Agentin bemerkt hat, dass sie mich nicht besetzen kann, weil die Caster sagten, sie könnten kein schwarzes Mädchen gebrauchen für bestimmte Rollen, dass es zu kompliziert sei, zu erklä­ren wo sie dann herkäme und weitere Dinge. Ich glaube nicht unbedingt, dass man es leichter hat, das sind ein­fach andere Probleme. Jetzt wo ich älter bin, merke ich aber schon, dass ich mir darüber Gedanken mache. Gerade jetzt, wo ich nach München gehe, denke ich schon darüber nach, ob ich dort mehr Pro­bleme haben werde. Ich glaube, dass es auch immer auf die Region in Deutschland ankommt und ich merke auch immer mehr, dass ich durch diese „Insel“, die Köln irgendwie ist, ganz viele Teile aus Deutschland nicht kenne. Ich kenne diese Menschen nicht, die CDU wählen, konservativ sind, AFD wählen. Ich kenne Leute nicht, die immer noch Negerkuss sagen und die gibt es zahlreich in Deutschland.

Dir ist Rassismus in deinem Leben nicht wirklich begegnet. Würdest du sagen, dass liegt an eurem Heimatort
und an der Art wie ihr aufgewachsen seid?

Das denke ich schon. Es ist nicht so, dass es mir gar nicht begegnet ist, aber ich würde schon sagen, dass es irgendwo individueller war – das es mir von einem Individuum entgegen gebracht wurde, aber ich kann da nicht von der Allgemeinheit reden. Zumin­­dest nicht so, dass ich das Gefühl habe, dass es mich wirklich aus­gebremst hat. Ich meine schon, dass ich irgendwie Vorurteile von Lehrern bekommen habe, aufgrund meiner Hautfarbe, aber das kann ich jetzt alles auch erst im Nach­hinein sagen. Ich habe damals z.B. nie gedacht, ich werde jetzt schlechter benotet, aufgrund meiner Hautfarbe oder das Leute eine bestimmte Art über mich denken, weil ich schwarz bin. Das habe ich glaube ich alles erst hinter­her bemerkt. Oder, dass Leute natürlich diese typischen Fragen stellen oder mir typische Merkmale zuweisen, die ich gar nicht habe, sprich Tempera­ment. Es nervt mich, dass alle Leute denken ich könnte singen oder so etwas. Das sind diese Vorurteile, da kann man besonders unter Schwarzen einen ganzen Abend drüber reden und lachen, aber man kann noch lachen, das ist das Gute daran. Das sind also Dinge, die mich nicht wirklich ausbremsen. Ich habe immer meinen Weg gehen können und habe nicht gedacht ich kann dieses oder jenes nicht machen, weil ich schwarz bin.

Es ist sehr schön zu hören, dass du immer glücklich warst mit deinem Dasein und dich deine Herkunft,
zu keinem Zeitpunkt belastet hat! Du hast ja auch gesagt, dass du dich sehr früh schon als Afro-Amerikanerin
identifiziert hast, also gehe ich mal davon aus, dass auch niemals wirklich anders sein wolltest?

Also, wenn ich mal anders sein wollte, dann war das glaube ich, als ich in Amerika war. Da wäre ich auch gerne so gewesen, wie die Afro-Amerikaner, die mir dort begegnet sind. Ich wäre gerne gar nicht aufgefallen, wenn ich gesprochen hätte, das war so die Zeit. Und hier war das glaube ich so gerade, als ich zurückkam, weil es dann irgendwie verstärkt war, dadurch, dass ich die amerikanische Seite mehr ausgelebt hatte und mich dann wieder sozusagen rückorientieren musste oder mich generell auch umorientieren musste, da es sich zu der Zeit auch hier viel verändert hatte. Ich hatte die Schule gewechselt und wollte dort auch nicht so auffallen. Ich denke es ist generell das Ding mit dem Auffallen, was mich etwas genervt hat.

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Fühlst du dich Deutschland zugehörig?

Immer weniger… Oder es kommt wirklich drauf an… Als ich in Amerika war, war ich schon sehr pro Deutschland, weil es dann auch Dinge gab, die ich sehr zu schätzen wusste an der deutschen oder auch europäischen Kultur, die es dort nicht gab. Ich denke, dass hat aber auch viel damit zu tun, wie ich aufgewachsen bin, weil ich nicht so ein starkes Nationalgefühl brauche, auch nicht auf der amerikanischen Seite. Es ist nicht so, weil ich mich Deutschland nicht zugehörig fühle, fühle ich mich Amerika zugehöriger. Ich würde mich, wenn ich mich für ein Land ent­scheiden müsste, auf jeden Fall für Deutschland entscheiden, aber ich habe das einfach nicht. Das ist mir auch sehr fremd und ich finde das irgendwo auch sehr erstaunlich, dass es vielen Men­­schen un­glaublich wichtig ist – Nationalität, Nationalgefühl, Nationalidentität. Ich will das auch gar nicht irgendwie klein reden, aber das ist mir einfach nicht wichtig.

Wenn du im Ausland bist und dich jemand fragt woher du kommst, wie antwortest du darauf?

Da sage ich Deutschland!

Sagst du dann auch du bist Deutsche?

– nickt –

Was bedeutet denn Deutschsein für dich?

Wenn ich das in diesem Kontext beantworte, dann bedeutet das wirklich, wo ich aufgewachsen bin, wo komme ich eben her. Das ist tatsächlich Deutschland. Deutschsein – da kam ja irgendwie auch wieder so eine Welle mit der WM usw., die Welle des neuen Patriotismus, das ist mir alles relativ egal. Also, wenn mir jetzt jemand sagen würde: „Du darfst in Deutschland leben, aber bist jetzt Spanierin!“, dann hätte ich glaube nicht wirklich das Gefühl, mir würde etwas genommen. Wenn ich jetzt mal extrem denken darf, dann geht es ja schon eher dahin (wenn man sich jetzt den demo­­grafischen Wandel anschaut usw.), dass sich viel mehr Völker mischen und dieses ganze Ding mit der Staatenzugehörigkeit, das wird zunehmend ein Problem werden. Die Leute wollen zu­neh­mend an anderen Orten wohnen, als in denen zu bleiben, woher sie ­kommen. Es ist z.B. eine sehr geringe Möglichkeit das mein Kind genauso wird wie ich, außer mein Mann/Freund hat die selbe Herkunft wie ich, ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass das nicht der Fall sein wird. Bei Schwarzen, bei Weißen, bei allen Menschen höre ich diese Angst, dass das Kind nicht so aussehen wird wie man selbst und diese Sorge habe ich z.B. auch nicht. Ich weiß ja sowieso, dass es flüchtig ist. Das was ich bin, waren meine Eltern auch nicht. Es ändert sich sowieso immer und das ist vielleicht auch anders, wenn man das alles so fortführen möchte.

Deutschsein verbindest du also nur mit deinem Heimatland, aber du benutzt den Begriff jetzt nicht explizit
um dich selbst damit zu beschreiben?

Wie gesagt, ich kann mich davon natürlich auch nicht freisprechen, denn das Land in dem man auf­gewachsen ist, macht auch sehr viel mit einem. Man merkt das dann tatsächlich, wenn man im Ausland ist, wie viel dann doch an einem so „deutsch“ ist. Menschen denen dieses „Deutschsein“ so wichtig ist, mit denen kann ich mich ja auch einfach nicht iden­ti­fizieren. Dadurch, dass ich mich denen gar nicht zugehörig fühle, kann ich das für mich auch gar nicht beanspruchen, weil ich merke, dass es ihnen so wichtig ist. Und das ist ihnen eben so wichtig, weil sie sich gerne von Menschen wie mir unter­scheiden wollen. Ich höre da auch etwas eine Feindseligkeit in diesem „Deutschsein“, was vielen Leuten vielleicht auch so gar nicht bewusst ist. Das sind aber solche Dinge, wie dieser starke Patrio­tis­mus, das lässt mich eher das Gefühl haben, dass ich mich ausgeschlossen fühle.

Freunde – mit welchen Menschen hast du dich so umgeben in deinem Leben?

Ich habe eigentlich glücklicherweise, gute, enge, langwierige Freunde. Eine meiner allerbesten Freundinnen ist Deutsche, die zweitbeste ist halbe Pakistanerin und die nächste ist halbe Philli­ppina. Es war auch immer gemischt, aber nicht mit der Priorität, dass diese Menschen gemischt sind und mich dadurch verstehen können. Witzigerweise ist dieses „Mischlingsein“ ein häufigerer Nenner als das tat­sächliche „Schwarzsein“, weil ich da oft doch Gemeinsamkeiten sehe oder finde. Man muss dazu auch sagen, dass ich und meine Schwestern uns, besonders im Zuge unserer Jugend, ganz unterschiedlich mit unserer schwarzen Identität auseinander gesetzt haben. Das war schon sehr individuell. Meine nächst ältere Schwester Sophie, hat sich z.B. sehr viel für Rezepte interessiert, die Sprache und hat sich sehr viel mit Schwarzen umgeben, das war bei mir gar nicht so. Ich glaube ich habe am wenigsten in der Zeit als ich hier war, dieses „Schwarzsein“ gesucht, das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich die Jüngste war und es sozusagen schon für mich gemacht wurde?! Als ich aber nach Amerika gegangen bin, habe ich mir das sozusagen schon „geholt“. Ich fand es aber auch schon immer sehr interessant zu sehen, wie wir alle auf unsere individuelle Suche gegangen sind, was diese „Mischlingsidentität“ für uns bedeutet und wie wir sie ausleben. Die Herkunft meiner Freunde spielte also keine Rolle, ich war eigentlich immer froh, dass sie so vielseitig sind, auch was die Herkunft anging. Das habe ich aber eher immer als schönen, unbewussten Zufall gesehen. Es wäre mit Sicherheit auch anders gewesen, wenn ich nicht zwei Schwestern gehabt hätte, weil ich mich ja wie gesagt, einfach nie alleine gefühlt habe. Ich habe z.B. an der Schule jemanden kennen­gelernt, der auch Mischling ist. Er ist halber Südafrikaner und kennt seinen Vater nicht, oder kannte ihn ganz lange nicht und ist aufgewachsen bei einer weißen Pastorenfamilie. Da habe ich gemerkt, dass ich im Vergleich zu ihm, gar keine Probleme habe was meine Identität angeht, da ist einfach viel mehr geklärt. Dadurch habe ich mich schon gefragt, wie es wohl sein muss, wenn man sich ausgeschlossen fühlt von seiner eigenen Familie, weil man irgendwie denkt, dass man alleine ist. Das muss ätzend sein, oder auch schwierig, wenn man wirklich der Einzige ist in der Familie.

 

sophiealice1_photo_by_dominique_booker

Es kam jetzt auch des Öfteren vor, dass du Gebrauch von dem Wort Mischling gemacht hast!
Was bedeutet dieses Wort für dich?

Auf Wörter bezogen finde ich, ist es auch immer eine sehr interessante Debatte! Ich sage jetzt einfach nur Mischling, weil es bedeutet, dass man gemischte Ethnien hat, verschiedene Her­künfte. Wenn man es genau nimmt, ist jeder ja irgendwie ein Mischling. Das bedeutet dieser Begriff für mich.

Benutzt du dieses Wort für jeg­liche Menschen die verschiedene Herkünfte haben oder speziell für eine bestimmte Gruppe?

Ich glaube, wenn ich oder jemand anders dieses Wort benutzt, denke ich zuerst an Halb-Schwarze. Ich benutze es aber z.B. auch für meine halb pakistanische Freundin. Man benutzt diesen Begriff, glaube ich, schon eher für Menschen, wo es äußerlich offensichtlicher ist. Ich benutze es aber nicht oft, glaube ich.

Für dich hat das Wort aber keinen negativen Bezug?

Ich finde das Wort nicht schön, würde ich sagen. Mischling hört sich an wie ein Wesen, irgendwie. Es ist kein tolles Wort. Ich benutze es, weil ich nicht wüsste, welch anderes Wort ich benutzen sollte, aber ich finde es reduziert die Leute schon sehr und stellt die Herkunft sehr in Vordergrund. Als ob dies das Wesentliche sei, was ich ja gar nicht für wichtig empfinde. Das ist nicht das Erste, was man bei Menschen beschreiben sollte und deshalb benutze ich es auch wenig.

Und was ist mit Neger?!

Ja, darüber habe ich natürlich schon viele sehr lange Debatten geführt. Ich glaube der Begriff ist jüngst noch mal aufgetaucht zu dem Thema, ob dieses Wort aus Kinderbüchern gestrichen werden soll und da ist mir ein Artikel in der ZEIT sehr sauer aufgestoßen. Der war von einem relativ alten Literatur Redakteur, der glaube ich 70 Jahre alt ist. Der dann einen langen Artikel darüber schrieb, dass es doch völlig übertrieben sei und er beschrieb dann diesen äthiopianischen Mann, der dieses Anliegen geäußert hatte, als humorlosen Mitbürger. Er fand es ebenfalls übertrieben, dass man nicht mehr Negerkuss sagen darf und da bin ich so sauer geworden, weil ich dachte, es ist die eine Sache wie man das Wort findet, aber es ist die andere Sache, wenn ein Mensch, der selber schwarz ist, dieses Wort als Beleidigung empfindet und man diesen einfach nicht ernst nimmt. Wer kann es denn besser beurteilen, als diese Person selbst? Das finde ich so doof, dass es Menschen gibt, wenn ich sage, dass ich so nicht genannt werden möchte, mir erzählen wollen, dass es doch nicht so schlimm ist! Ich kann das entscheiden! Ich kann entscheiden, was ich schlimm finde und was nicht! Ich kann ent­scheiden, wie ich genannt werden möchte! Das frustriert mich ungemein, wenn Menschen mich in dieser Debatte nicht ernst nehmen und sich irgendwie über mich stellen, weil Entschuldigung, aber das weiß ich einfach besser! Bei dieser Debatte ist mir also schon oft genug die Kinnlade runter gefallen, weil ich dachte okay, anscheinend haben die Leute immer noch nicht begriffen, dass es schwarze Menschen gibt, die in Deutschland leben und deutsch sind. Also, dass es nicht etwas ist, dass außerhalb passiert, sondern dass wir hier sind und genauso Schokoküsse kaufen, dass wir genauso die kleine Hexe und Pipi Langstrumpf lesen und das es zunehmend mehrere kleine Kinder werden. Das finde ich einfach respektlos! Der Begriff an sich… man muss anerkennen, dass dieser Begriff als historischer Begriff genutzt wurde, dass wenn eine 90 jährige Frau Neger sagt, es etwas anderes ist, als wenn ein junger Mensch dieses Wort benutzt. Man kann nicht bei allen Menschen, die mit diesem Begriff aufgewachsen sind, den Anspruch erheben, dass sich vielleicht jeder darüber Gedanken gemacht hat wie es ankommt, weil es für sie immer normal war. Wenn Leute diese Stimmen dann aber tatsächlich ignorieren, dann finde ich das nicht in Ordnung. Ich möchte nicht so genannt werden!

Das Thema Haare haben wir eben schon kurz geschnitten, was fällt dir dazu noch ein?

Das Thema Haare können so viele Nicht-Schwarze nicht verstehen. Dass dies tatsächlich so ein großes Thema ist, was Identität, Herkunft und Selbstbewusstsein angeht. Darauf wird man am meisten angesprochen, man merkt, dass die Menschen davor am wenigsten Scheu haben nachzufragen. Da kommen ja oft Fragen wie: „Wie kämmst du deine Haare?“, oder, dass die Menschen sie anfassen wollen, „weil das ja irgendwie nicht schlimm ist, das ist ja nicht diskriminierend, dass sind ja einfach nur Haare“, aber dadurch wird es ein ziemlich großes Ding. Das habe ich auch schon in frühem Alter bemerkt, das ist auch ein Grund warum ich sehr froh bin, dass ich eine schwarze Mutter habe die genau wusste, wie man mit diesen Haaren um­geht. Ich hatte zum Glück nie zwingend das Bedürfnis, glatte Haare haben zu wollen. Ich glaube, das ist auch bei vielen schwarzen Frauen anders und besonders in Amerika, ist es ja immer noch, ein großes Problem. Haare machen, Haare flechten, einfach alles was damit zu tun hat, ist für mich schon ein großes Identitäts­thema. Wenn Sophie mir die Haare macht oder ich in Amerika zum Friseur gehe, das sind dann solche Momente, in denen ich mich wohl fühle und froh bin schwarz zu sein. Irgendwo hat das sehr viel Kultur und da fühlt man sich zugehörig und aufgehoben. Was diese blöden und lästigen Fragen angeht, die man von Deutschen bekommt, habe ich mich irgend­wie damit abgefunden die Erklärerin zu spielen, weil ich versuche das Individuum zu sehen, welches vielleicht tat­sächlich einfach nur wissen möchte, wie man diese Haare kämmt oder wie sie sich anfühlen. Ich habe zunehmend aber auch gelernt, dass wenn ich in diesem Moment keine Lust habe diese Frage zu beantworten, dass ich es auch nicht muss und mich dabei auch nicht schlecht fühlen muss.

Abschließend hätte ich noch eine wichtige Frage an dich, siehst du deine Herkunft als Segen oder als Bürde?

Als Segen, auf jeden Fall! Ich habe mir darüber schon früh Gedanken gemacht, ich habe mich viel mehr damit auseinandergesetzt was fremd sein bedeutet, wo viele andere nach wie vor Angst haben. Wo ich wirklich ganz ehrlich sein muss, man merkt, dass es so einen rechten Ruck gibt, das hat man ja bei der Europawahl jetzt auch gesehen, dass die Leute an­scheinend wirklich Angst haben vor Migration. Angst haben, vor Leuten die einwandern usw., davor habe ich wirklich keine Angst. Dieses Deutschsein kann mir keiner nehmen. Ich glaube tatsächlich, auch wenn die Menschen es ver­suchen, lässt es sich nicht verhindern, dass Kulturen sich mischen werden und das Land sich auch verändern wird. Deswegen bin ich eigentlich froh, dass ich da schon einen Schritt weiter bin. Klar, manchmal auch Bürde, weil viele Menschen diesen Schritt noch nicht gegangen sind und man selber manchmal sehr bei sich bleiben muss, damit man diesen Glauben und diesen Mut nicht verliert. Aber letztendlich ist das schon was Schönes!

 

aliceportrait_photo_by_dominique_booker

Vielen Dank für deine ehrlichen Worte liebe Alice! <3

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