Der Interview- und Reisemarathon nimmt kein Ende und ich kann ehrlich gesagt auch gar nicht genug davon kriegen. Dieses Mal bin ich an einem Ort, an dem ich zuvor nie war, denn meine heutige Interviewpartnerin ist umgezogen. Hier erwartet mich nicht nur ein wundervoller Babybauch – auf den ich mich schon die ganze Zeit freue – sondern auch eine meiner liebsten Freundinnen, mit der ich gleich ein aufschlussreiches Gespräch führen werde –nachdem ich sie gründlich betätschelt habe, denn wir haben uns auch schon viel zu lange nicht mehr gesehen …
Wer bist du, woher kommst du und was machst du?
Ich heiße Tamara Banda Kalenga und wurde 1977 in Brüssel geboren. Mein Papa kommt aus Malawi (Afrika) und meine Mama aus Jugoslawien. Ich bin zur Zeit Hausfrau und Mutter und erwarte in ein paar Monaten mein drittes Kind.
Hast du Geschwister?
Ich habe 2 jüngere Brüder, Eric (19) und Edward (31 Jahre alt). Wir haben aber nicht die selbe Mutter.
Wie und warum sind deine Eltern nach Deutschland gekommen?
Mein Vater ist von Afrika nach Belgien gegangen, da er Musiker war. Dort wurde ich geboren und habe dort auch einige Jahre gelebt. Nach ca. 5 1/2 Jahren haben sich meine Eltern getrennt und ich bin mit meinem Vater nach Deutschland gezogen, da er hier eine Arbeitsstelle und Wohnung in Aussicht hatte.
Mama Margarethe & Papa Steve / Tamara & Papa
Du bist also nur mit deinem Vater nach Deutschland gekommen?
Genau, ich bin bei meinem Vater aufgewachsen.
Dann bist du zu Hause mit einer bestimmten Kultur aufgewachsen…
Genau, natürlich mit der afrikanischen Kultur!
Warst du schon mal in dem Heimatland deines Vaters?
Nur einmal, als ich ganz klein war. Daran erinnere ich mich aber nicht mehr.
Fehlt dir das?
Ja, erst recht seitdem mein Vater tot ist, fehlt es mir noch mehr. Meine ganze Verwandtschaft lebt dort, mein Vater ist ja damals alleine nach Deutschland gekommen. Es wäre schon schön diese alle auf einen Schlag kennenzulernen und mal zu sehen, wo man überhaupt herkommt. Das hatten mein Vater und ich uns lange vorgenommen, aber es hat ja dann leider nicht mehr funktioniert. Das ist schon ein Traum von mir! Seitdem er aber tot ist, bin ich da schon ein bisschen „ängstlich“, weil da geht es ja auch schon wieder los mit Sprachproblemen usw. Das ist zwar alles machbar, aber mit ihm hätte ich mich sicherer gefühlt. Ich möchte es aber immer noch gerne machen, denn ich denke das würde mir selbst sehr viel bringen. Man würde sich dann angekommen fühlen.
Hast du als Kleinkind Unterschiede zwischen deinen Eltern bemerkt? Du warst natürlich noch sehr klein zu der Zeit,
aber kannst du dich an irgendetwas erinnern?
Ja, das stimmt ich war noch sehr klein, aber mein Vater war auch später wieder in einer Beziehung und zwar mit einer deutschen Frau und das vergleiche ich jetzt einfach mal. Das waren natürlich 2 verschiedene Welten. Was die Erziehung angeht, sind Afrikaner natürlich viel strenger, aber dafür sind sie auch sehr gebunden an ihre Kinder. Die Lebenspartnerin meines Vaters war erziehungstechnisch weitaus lockerer, also sie hätte mir mehr erlaubt.
Mit der Ex-Lebensgefährtin deines Vaters hast du aber nicht viel zu tun?
Nicht wirklich. Es ist alles etwas schwierig, da auch viel passiert ist zwischen uns, was ich zwar verziehen habe, aber eigentlich ist es wirklich nur die Mutter meiner Brüder für mich. Wir sehen uns an den „öffentlichen“ Feiertagen wie Weihnachten z.B., aber darauf begrenzt sich unsere Beziehung eigentlich.
Sind dir äußerlich auch Unterschiede aufgefallen?
Ich habe natürlich gesehen, dass mein Vater dunkelhäutig war und seine Lebenspartnerin weiß. Mir ist der Unterschied auch in der Kleidung aufgefallen, da mein Vater zu dieser Zeit noch sehr viel afrikanische Tracht getragen hat und die anderen natürlich „normale“ Bekleidung. Die Haare waren anders, die Gesichtszüge waren total unterschiedlich, das habe ich als Kind auf jeden Fall wahrgenommen. Ich habe es auch nie wirklich verstanden, warum ich anders bin, da wir auch welche der Ersten schwarzen im Dorf waren, in dem wir lebten. Alle anderen hatten glatte Haare, eine kleine Nase, einen schmalen Mund und ich hatte eine große Nase, volle Lippen, tausend Klammern in den Haaren … Ja das ist mit direkt aufgefallen!
Also hast du dich als Kind bereits schon anders gefühlt. Hattest du das Gefühl nur, weil dir aufgefallen ist, dass die Menschen um dich herum anders aussehen oder hat man dir auch das Gefühl vermittelt, dass du nicht der „Norm“ entsprichst?
Mir wurde dieses Gefühl definitiv gegeben, das kann man ganz klar sagen! Das war ja auch in der Zeit der 80ziger und zu dieser Zeit gab es noch eine ganz klare Ablehnung überhaupt gegen Ausländer würde ich sagen. Ich habe das bei meinem Vater oft bemerkt und die Menschen haben mich auch anders behandelt als andere Kinder. Außerdem wurde ich auch angestarrt, mir wurde in die Haare gefasst oder ich wurde gehänselt. Besonders in der Grundschule traf das zu, da wurde man gehänselt, aber auch teilweise richtig stark beschimpft mit Neger etc. Ich war auch nur ein halbes Jahr im Kindergarten, da ist mir das bereits aufgefallen, aber in der Grundschule wurde es dann richtig massiv, da hatte ich schon einige Probleme. Umso älter man wurde, umso weniger wurde es, irgendwann ist es ja dann auch cool gewesen Mischling zu sein. Im jungen Alter hingegen nicht, ich hatte auch sehr lange Zeit keinen Freund, weil da schon Berührungsängste bestanden von den anderen.
Wie hat sich das geäußert in deinem Verhalten? Hat es dich belastet oder konntest du damit schon umgehen?
Belastet hat es mich auf jeden Fall, aber mein Vater hat mich wirklich sehr bestärkt und hat mir immer gut zugeredet. Er hat mir da wirklich sehr geholfen.
Es war also war es ein Thema bei euch zu Hause?!
Definitiv! Ich kam auch oft verheult nach Hause oder habe mich komisch verhalten und nichts gesagt. Dann hat er mich natürlich darauf angesprochen und dann wurde die Familie auch zu Hause besucht. Es wurde bei uns nicht nur zu Hause beredet, sondern es wurde auch ganz klar ausdiskutiert mit den Menschen bzw. Eltern der Kinder, die mich beschimpft haben. Das finde ich sehr wichtig! Klar, wenn man jünger ist, dann ist es einem peinlich, aber im Nachhinein hat mich das sehr gestärkt.
Gab es dieses Verhalten dir gegenüber nur von Kindern oder ist es dir auch in anderen Situationen im Alltag widerfahren?
Auch vom Lehrpersonal wurde ich anders behandelt. Ich hatte ja sowieso Schwierigkeiten, da ich gerade erst nach Deutschland gekommen war und erst die Sprache erlernen musste. Am Anfang habe ich nur Französisch gesprochen und hatte dann nur ein halbes Jahr Zeit um Deutsch zu lernen. Die ersten zwei Jahre in der Grundschule waren sehr schwer und man hatte auch das Gefühl, das sie sich nicht sonderlich viel Mühe mit mir gegeben haben. Ich war ja auch sozusagen der erste Ausländer dort und damals war es ja nicht so wie heute, wo ganze Klassen mit z.B. Deutschförderkursen angeboten werden. So etwas gab es damals alles noch nicht und es war der Schule auch relativ egal. Es musste sich also selber darum gekümmert werden, dass man die Sprachbarriere in den Griff bekommt. Dadurch gab es auch öfter Diskussionen mit den Lehrern. Mit den Nachbarn war das auch so ein Ding, man hatte z.B. auch das Gefühl, dass die Eltern nie wirklich wollten, dass ich mit ihren Kindern spiele. Früher wurde man ja auch immer zu Geburtstagen eingeladen und eigentlich war es ja immer so, dass fast die gesamte Klasse eingeladen wurde. Bei mir war das eben nicht so. Ich wurde gar nicht gefragt, dadurch hat man das also bemerkt.
Hast du Probleme deines Vaters und seiner Lebensgefährtin mitbekommen, die aufgrund der Herkunft deines Vater auftauchten?
Ja, sehr massiv. Einmal habe ich auch hautnah eine Prügelei meines Vaters miterlebt. Wir waren als Familie auf einer Kirmes dort wurde mein Vater als Neger beschimpft und er war nie wirklich der Mensch, der sich das hätte gefallen lassen. Es gab ein Wortgefecht und dann wurde mein Vater von 5 Leuten verprügelt. Das war eine sehr schlimme Situation, weil ich noch sehr klein war und mein kleiner Bruder auch noch dabei war. Wenn man so klein ist, versteht man ja gar nicht was da passiert und hat Angst um den eigenen Vater und kann nicht wirklich etwas tun. Das ist eine Situation, die ich auch niemals vergessen habe. Dieses Erlebnis war auf jeden Fall eines der schlimmsten. Ansonsten gab es auch noch die Situationen, wenn man z.B. in Geschäfte gefahren ist, wo es etwas teurere Dinge zu kaufen gab, wurde mein Vater überhaupt nicht bedient.
Und Problemsituationen im Bezug auf die Beziehung deines Vaters und seiner Lebensgefährtin, gab es da etwas?
Seine Lebensgefährtin hatte sehr schwer damit zu kämpfen. Sie hatte auch innerhalb der Familie sehr massive Probleme am Anfang, dass diese Beziehung überhaupt akzeptiert wurde. In ihrer Familie gab es auch Familienmitglieder, die meinen Vater beschimpft haben und mit ihr nichts mehr zu tun haben wollten. Es gab sehr viele Probleme, da nicht nur mein Vater schwarz war, sondern auch ich als seine Tochter. Ich glaube das hat letztendlich auch zum Bruch dieser Beziehung geführt. Für sie war es auch schwer, weil es ihre eigene Familie war, aber für meinen Vater war es natürlich immer ganz klar, dass sie sich auf seine Seite stellen muss. Irgendwann war das dann doch alles zu viel.
Sind deine Geschwister mit den selben Problemen konfrontiert worden?
Mein jüngster Bruder hat dieselbe Grundschule besucht wie ich und bei ihm gab es auch sehr akute Probleme. Es war sogar so weit, dass von der Schule gesagt wurde, er müsse psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Er wurde viel gehänselt und als Junge hat er es sich auch einfach nicht gefallen lassen und hatte dadurch viele Prügeleien. Dann hieß es eben, dass er ein verhaltensauffälliges Kind sei. Nachdem er aber auf eine weiterführende Schule ging, verschwanden diese Probleme.
Mit welchen Menschen hast du dich so umgeben?
Als ich jünger war, habe ich mir nicht wirklich jemanden selbst ausgesucht. Ich habe das genommen, was noch übrig war. Das waren die einzigen Menschen,
die sich da wirklich mit mir abgegeben haben. Später hat sich das verändert. Da wurden es Mischlinge … Ausländer … Viele Ausländer würde ich sagen.
Hast du dir diese Menschen bewusst oder unbewusst „ausgesucht“?
Unbewusst! Aber es fällt mir auf, dass mein Freundeskreis zu 90% aus Ausländern besteht (auch mit vielen Mischlingen darunter gemischt).
Weißt du, warum das so ist?
Ich bin ja der Meinung, dass man direkt einen besseren Draht zu einem Mischling hat. Also sagen wir mal so, entweder versteht man sich direkt oder es passt gar nicht. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass es eigentlich eher immer positiv ist und ich glaube, das ist, weil viele das Gleiche durchgemacht haben oder immer noch machen. Da fühlt man sich eben zusammengehöriger. Man hat auch einfach viele gemeinsame Interessen, das spielt eine große Rolle. Es gibt viele Parallelen wie z.B. Freunde, die nur ein Elternteil haben oder kennen. Ich habe auch deutsche Freunde und es ist auch nicht so, dass ich mit Deutschen nichts zu tun haben möchte, sie sind einfach in der Minderheit.
Wie sieht es denn mit deinem Männergeschmack aus?
Ja also …
– ein lautes Lachen hallte durch den Raum –
da stehe ich tatsächlich gar nicht auf Mischlinge oder hundertprozentige Afrikaner. Aber ich verknüpfe das damit, dass ich 2 Brüder habe. Das hört sich jetzt doof an, aber ich würde immer an meine Brüder denken, das kann ich irgendwie nicht erklären. Das kommt für mich gar nicht infrage! Ich hatte noch nie einen Mischling oder Afrikaner als Freund.
Wo fühlst du dich zugehörig?
Das ist so ein Ding … Ich kann nicht hundertprozentig sagen ich bin Afrikanerin, weil ich auch das Gefühl von Afrikanern bekomme, nicht richtig dazuzugehören und umgekehrt ist das natürlich genauso. Aber ich fühle mich trotzdem afrikanischer. Ich könnte aber mit meinen 37 Jahren immer noch nicht genau sagen was/wer ich bin. Ich kann aber nach dieser ganzen Zeit auch nicht sagen, dass ich mich deutsch fühle. Ich habe bis jetzt auch keine deutsche Staatsbürgerschaft, weil ich mich irgendwie nicht überwinden kann. Man wird hier auch einfach nicht 100% angenommen, manchmal denke ich, selbst wenn ich jetzt meinen Pass ändern würde, würden die Menschen hier mich nicht plötzlich als Deutsche sehen. Für sie wäre ich trotzdem weiterhin eine Ausländerin. Man ist also zwischen zwei Welten und nirgends gehört man so wirklich dazu.
Ist das etwas, dass dich viel beschäftigt?
Manchmal schon … Es gab Phasen, in denen ich viel darüber nachgedacht habe. Da hat es mich wirklich beschäftigt und auch fertiggemacht, aber mittlerweile nehme ich es so an, ich kann ja auch nichts daran ändern.
Du sagtest eben, dass du für dich eigentlich nicht sagen kannst, dass du deutsch bist, was bedeutet Deutschsein für dich?
Sagen wir mal so, Deutschsein würde für mich bedeuten in dieser ganzen Kultur akzeptiert zu werden und dazuzugehören. Dass man eben z.B. nicht von den Nachbarn blöd angeguckt wird, dass man einfach nicht auffällt. Genauso auch von anderen Menschen normal angesehen und behandelt zu werden … Dann könnte ich mich deutsch fühlen! Wenn ich es vergleiche mit den Mischlingen, die in Deutschland geboren sind, dann gibt es ja meistens nicht wirklich einen Unterschied. Ich habe doch genau so meinen Schulabschluss hier gemacht, habe gearbeitet, meine Steuern bezahlt etc., aber man wird trotzdem nicht wirklich akzeptiert und das ist das, was mich am meisten stört.
Denkst du, dass der Unterschied nur gemacht wird, weil du nicht in Deutschland geboren wurdest?
Ich denke eher, weil ich einfach anders aussehe. Da wird kein Unterschied gemacht, ich sehe das ja an dem Beispiel meiner Brüder. Beide sind in Deutschland geboren, aber im Endeffekt interessiert es sowieso keinen, wo du geboren wurdest, man wird ja sowieso immer gefragt, wo man her kommt. Oder man wird gefragt, ob man Deutsch spricht, oder einem wird gesagt, wie gut man doch tatsächlich Deutsch sprechen kann.
Kann man daraus schließen, dass du dich diesem Land nicht wirklich zugehörig fühlst?
Ja, das ist richtig!
Aber nicht, weil du es nicht möchtest, sondern weil andere Menschen dir nicht das Gefühl geben ein Teil vom Ganzen zu sein?
Genau! Es heißt ja immer, dass die Ausländer sich integrieren sollen und ich finde das habe ich immer getan. Ich habe auch meinen Beitrag geleistet für Deutschland, aber auf der anderen Seite wird das nicht angesehen.
Wolltest du deshalb jemals anders sein?
Als ich ein kleines Kind war, wollte ich anders sein.
Und wie wolltest du da sein?
Ich wollte so aussehen, wie alle anderen mit ihren glatten langen Haaren und ihrem zierlichen Gesicht. Ich wollte einfach nicht aus der Masse herausstechen.
Fühlst du dich heute auch noch besonders?
Auf jeden Fall!
Was ist das für ein Besonderssein für dich? Positiv oder negativ?
Für mich ist das mittlerweile ein positives Anderssein. Ich bin sehr stolz darauf zu sein, wer ich bin und möchte es gar nicht mehr ändern. Man geht ja mit den Jahren auch einfach anders mit der Situation um. Manchmal wäre ich sogar gerne noch dunkler …
Du wärst gerne dunkler? Warum das?
Dann würde ich noch mehr zu der anderen Seite gehören und wäre nicht mehr in der Mitte.
Dein Vater hat dich immer gestärkt, kannst du dich an bestimmte Dinge erinnern, die er zu dir gesagt hat?
Er sagte mir immer, dass ich stolz darauf sein muss, woher ich komme. Dass es etwas Besonderes sei, dass man eine eigene Meinung bilden müsste und sich nicht nach der anderer richten dürfe. Er sagte mir auch, dass ich mein Selbstbewusstsein stärken müsste, weil ich dieses „Problem“ mein ganzes Leben lang mit mir tragen würde. Er war ja noch viel dunkelhäutiger als ich und er habe es trotzdem geschafft. Man bekommt ja immer Steine in den Weg gelegt, aber so schafft man es viel einfacher eine starke Persönlichkeit zu werden, leichter als die Menschen, die mit solchen Dingen nie konfrontiert wurden und es immer einfach gemacht bekamen.
Ich weiß, dass das jetzt etwas sehr Persönliches ist, aber ich glaube es ist sehr interessant zu wissen. Wenn du antworten möchtest,
wüsste ich gerne Folgendes: Fühlst du dich durch den Tod deines Vaters jetzt noch verlorener?
Auf jeden Fall! Das war am Anfang sehr schlimm und es waren auch welche meiner ersten Gedanken, jetzt überhaupt nicht mehr zu wissen, wo ich hingehöre, weil mein Vater eben für die gesamte afrikanische Kultur stand. Jeder Kontakt, den ich zu dieser Kultur hatte, entstand durch meinen Vater. Wir sind auch öfter nach Belgien gefahren, mein Vater hatte auch viele schwarze Freunde … Dadurch, dass er jetzt weg war, war es besonders am Anfang sehr schlimm für mich. Mittlerweile habe ich mich damit arrangiert und mich auch versucht selbst zu stärken. Mein Vater hat immer sehr viel mit mir geredet und mich aufgebaut. Ich denke immer daran, falls er mich jetzt wirklich sehen sollte und sehen würde, dass wenn ich am Boden zerstört wäre, wäre es eine große Enttäuschung für ihn und deshalb lasse ich mich nicht zu sehr von negativen Dingen beeinflussen. Durch meine Kinder natürlich auch, da bleibt mir nichts anderes übrig als stark zu bleiben. Das ist natürlich sehr traurig, da ich meine Mutter auch gar nicht kenne, ich denke auch oft darüber nach, dass ich nun gar kein Elternteil mehr habe, aber wie gesagt er hat mich sehr gestärkt.
Wir waren eben schon mal bei einen bestimmen Punkt, den ich ansprechen möchte, was fällt dir zu dem Thema Haare ein?
Ich hatte lange Zeit immer meine natürlichen Haare. Wenn ich an meine Kindheitserinnerungen denke, dann war das einfach immer nur fürchterlich. Ich vergesse nie, einmal in der Woche stand immer baden mit Haare kämmen auf dem Plan und damals war es ja noch nicht so wie heute, dass man verschiedene Pflegeprodukte hatte, um es einfacher zu machen. Da gab es nur die Bürste und da wurde – komme was wolle – durch gebürstet. Jeden Samstag habe ich geheult! Ich habe meine Haare im Teenageralter immer geschlossen getragen und mit allem Möglichen glatt gebürstet, damit die Locken nicht sichtbar sind. Irgendwann hab ich die Locken dann aber doch gerne getragen. Wie das aber so ist, Frauen lieben Veränderungen und deshalb trage ich heutzutage Verschiedenes. Mal trage ich sie lockig, mal glatt, aber meistens mit Extensions. Ich bin nun aber auf dem Weg meine natürlichen Haare wieder ohne Extensions zu tragen. Das ging lange nicht, weil ich sie durch das viele glattmachen und die Chemie in den Haaren kaputtgemacht habe.
Gibt es einen bestimmten Grund warum du Extensions trägst?
Es geht mir dabei nur um die Veränderung, ich mag das!
Wie haben denn die Menschen um dich herum auf deine Haare reagiert?
Also das war natürlich auch nicht nur positiv. Man wurde „Struwwelpeter“ genannt, gefragt, ob man in die Steckdose gefasst hat. Ich weiß noch, dass mir viele z.B. in der Schule – wo man ja in Reihen hintereinander saß – mein Haargummi aus den Haaren gezogen haben, um mich zu ärgern. Da habe ich immer einen halben Nervenzusammenbruch erlitten und fast angefangen zu heulen. Mir wurde auch ohne zu fragen in die Haare gefasst.
War das der Grund, warum du deine Haare, auch sozusagen, versucht hast zu verstecken?
Ja, genau, ich wollte das nicht! Ich erinnere mich auch noch daran, dass wenn ich z.B. zu Geburtstagen eingeladen wurde, immer alle wollten, dass ich meine Haare aufmache und sie anfassen wollten, das hat mich total genervt. Das war schon immer ein Thema. Die Haare der anderen Menschen waren nicht interessant. Beim Flaschendrehen habe ich auch mal verloren und daraufhin wurde sich gewünscht, dass ich die Haare öffne.
Du hast in diesem Interview dieses Wort auch schon öfter benutzt, „Mischling“ was bedeutet das für dich?
Das bedeutet für mich einfach nur, dass ein Mensch 2 verschiedene Herkünfte hat. Ich verbinde nichts Negatives damit.
Und was ist mit dem Wort Neger?
Das geht gar nicht!
Aus welchem Grund?
Das ist das Allerletzte! Für mich ist das die größte Beschimpfung überhaupt für einen schwarzen Menschen. Ich verbinde es auch sehr stark mit meiner Kindheit, weil ich da ja auch oft als Neger oder Negerkuss beschimpft wurde. In meinen Augen ist es einfach nur ein Schimpfwort. Mittlerweile gibt es genug andere Bezeichnungen um Menschen zu beschreiben, dafür muss man nicht dieses Wort gebrauchen. Außerdem kommt dieses Wort aus der Sklavenzeit und es sollte jeder verstanden haben, dass dieses Wort in diesem Jahrhundert nichts mehr zu suchen hat und man es nicht einfach so verwendet, auch wenn man es nicht böse meint.
Passiert dir das heute auch noch, dass du so genannt wirst?
Nein, das nicht, aber es ist trotzdem oft genug so, dass ich höre, wie Leute sich unterhalten und dann zwischen drin das Wort Neger fällt. Da hört es dann bei mir auf, da bin ich dann auch sofort auf Konfrontation gebürstet. Es ist natürlich jedes Mal dasselbe, da wird dann gesagt: „Ist doch gar nicht so schlimm!“, „Ich hab es nicht so gemeint!“, „Ich habe nichts gegen Ausländer!“ usw., aber das sind für mich nur Ausreden. Ich muss auch sagen, wenn jemand dieses Wort gebraucht, ist er bei mir schon etwas unten durch, das verzeihe ich auch nicht schnell und nehme es dieser Person auch übel. Ich finde es auch nicht besonders, wenn Schwarze sich untereinander sich so bezeichnen. Das macht für mich auch keinen Sinn. Sie sind angepisst, wenn eine weiße Person sie so bezeichnet, aber untereinander benutzen sie es. Das finde ich auch nicht in Ordnung. Ich kann das Wort auch einfach nicht ohne schlechtes Gefühl aussprechen.
Deine Kinder haben alle hellhäutige Väter, wie hast du dir in diesem Zusammenhang deine Kinder vorgestellt?
Oder was hast du dir gewünscht, wie deine Kinder aussehen sollten?
Ich habe mir natürlich gewünscht, dass sie mir mehr nach mir kommen. Sie sind beide sehr hell und haben auch nicht meine Haare, aber ich persönlich sehe das afrikanische Blut. Klar, mehr geht immer, aber ich bin sehr zufrieden so, auch wenn man es nicht direkt auf den ersten Blick sieht. Wenn andere es nicht sehen, dass interessiert mich nicht.
Hattest du Angst oder Bedenken, dass falls bei deinen Kindern die afrikanische Seite sehr offensichtlich durchgekommen wäre,
sie mit denselben Problemen hätten kämpfen müssen, die du hattest?
Wenn sie mehr nach mir kommen würden, dann hätten sie diese Probleme! Was heißt Angst … Also ich hätte dann natürlich einen genauso guten Job machen müssen wie mein Vater und sie bestärken müssen, wobei es heutzutage ja schon ein bisschen lockerer ist als damals. Der liebe Gott hat es vielleicht auch einfach nur gut gemeint, denn wenn ich ein Kind hätte und eine fremde Person einfach in die Haare meines Kindes fassen würde, dann hätte ich wohl nur Stress und würde explodieren. Ich glaube ich könnte da nicht ruhig und diplomatisch bleiben. Da wäre ich dann wie mein Vater.
Du hast gesagt, dass du auch von Afrikanern das Gefühl bekommst nicht richtig dazuzugehören? Wie äußert sich das, kannst du das in Worte fassen?
Schwierig zu erklären, es wird zwar immer „Sista, Sista …“ gesagt, aber im Endeffekt merkt man ja auch in deren Verhalten, dass es nicht ganz ernst gemeint ist. Um ein Beispiel zu nennen, wenn ich in den Afroshop gehe, der hat natürlich immer seine eigenen Preise, ich bezahle weniger als eine deutsche Person, aber auch mehr als eine afrikanische. Es ist immer irgendwie in der Mitte. Man wird da nicht ganz für voll genommen. Oder wenn Afrikaner in Grüppchen stehen, wird sich in deren Sprache unterhalten, es wird nicht Englisch geredet und dann ist man auch wieder außen vor. Das ist wirklich schwierig in Worte zu fassen.
Hast du das Gefühl, dass dir durch deine Herkunft auch Bevorzugungen widerfahren sind?
Definitiv! Das sehe ich an meinem beruflichen Werdegang. Ich habe Einzelhandelskauffrau erlernt und immer in Streetwearläden gearbeitet. Da ist eine Person mit dunkler Hautfarbe natürlich gerne gesehen, da es wohl irgendwie etwas „Cooles“ ausstrahlt. Da hatte ich keine Probleme einen Job zu finden, aber das funktioniert dann auch eher in solchen „hippen“ Läden. In seriösen Jobs wird es dann teilweise schon schwieriger. Es wäre natürlich auch ein Vorteil gewesen, wenn ich mich mal bei MTV oder VIVA beworben hätte, die sehen ja auch gerne immer mal jemanden „wie uns“. Das fällt mir auch immer wieder auf im Fernsehen, z.B. in Castingshows ist in den Top 10 auch immer, ich sage mal so, ein „Quotenschwarzer“ dabei, damit das Gesamtbild irgendwie besser aussieht.
Eine abschließende Frage hätte ich noch an dich: Siehst du deine Herkunft als Bürde oder als Segen?
Als Segen! Wie gesagt früher als ich jünger war, habe ich sie wahrscheinlich oft als Bürde gesehen und oft gedacht, wieso ich nicht „normal“ sein kann. Mittlerweile, bzw. denke ich das schon lange, fühle ich mich einfach so wohl in meiner Haut, wie ich bin. Ich bin sehr froh, dass es so ist, wie es ist. Ich finde es toll!
In Loving Memory Of Steve
Vielen Dank für deine ehrlichen Worte Tamara!
1 Comment
Philip Roy Omulo
December 25, 2018Hello,
I am doing a documentary about Steve Banda Kalenga “Wells” and would like to get in touch with you in regard to the daughter.
Thanks,
Philip Roy Omulo
Vancouver,Canada